Ein steirischer Arzt ist am Dienstag wegen grob fahrlässiger Tötung in Graz vor Gericht gestanden. Er soll den Tod eines 84-Jährigen verschuldet haben, weil er ihm Tabletten gegen Gürtelrose verschrieb, die sich nicht mit dem Medikament der Chemotherapie vertrugen. Der Mediziner fühlte sich nicht schuldig, weil er als Vertretungsarzt über die Krebsbehandlung nicht genau Bescheid gewusst habe.
Der 84-jährige Patient kam im November 2016 zum Angeklagten, weil dieser seine Hausärztin vertrat. Er hatte Schmerzen und einen Ausschlag, der Arzt diagnostizierte eine beginnende Gürtelrose. Er verschrieb das Mittel Mevir, auf dessen Packung schon außen deutlich steht, dass es bei einer bestimmten Krebstherapie nicht eingenommen werden darf. Fatalerweise machte der Patient aber gerade eine Chemotherapie mit Xeloda, einem Medikament mit sogenanntem 5-FU, das sich nicht mit Mevir verträgt. Zwei Tage nach der Einnahme fiel der Hauskrankenpflegerin die Packung auf, und der Patient wurde ins Krankenhaus gebracht. Dort starb er zwei Wochen später.
Wusste von Krebserkrankung
Schuldig fühlte sich der Arzt nicht, denn er habe die Medikamentenliste des Patienten durchgesehen, da war aber kein Xeloda verzeichnet. Dort scheinen nämlich nur die Heilmittel auf, die der Hausarzt selbst verschreibt. Den Arztbrief des Spitals, der die Therapie mit Xeloda anführte, hatte der Vertretungsarzt nicht angeschaut. "Ich sehe nur die ersten zehn bis zwölf Zeilen im Computer", rechtfertigte er sich, "und es gab keinen Anhaltspunkt, nach älteren Arztbriefen zu schauen". Der "ältere Arztbrief" war gerade zwei Tage alt gewesen.
Der Angeklagte gab zu, von der Krebserkrankung des Mannes gewusst zu haben, nicht aber von der aktuellen Chemotherapie: "Sonst hätte ich das Mittel nicht verordnet". Richter Stefan Koller meinte, dass der Beschuldigte hätte merken müssen, dass in der Medikamenten-Liste kein Krebsmittel verzeichnet war, diese also nicht vollständig sein konnte. "Sie haben überhaupt nicht geschaut, was vorher war", mutmaßte der Richter. "Kontraindikationen müssen bekannt sein und abgefragt werden, das ist zumutbar", sagte der medizinische Sachverständige Thomas Kühr.
"Er wäre irgendwann gestorben"
Die Frau des Verstorbenen hegte bei der Befragung keinen Hass gegen den Arzt, der den Tod ihres Mannes verschuldet haben soll: "Er war schwer krank und wäre irgendwann gestorben. Ich will den Herrn Doktor nicht belasten", meinte sie. Er habe sich auch um sie gekümmert, nachdem das Unglück passiert war. Die Ärztin, die der Angeklagte vertreten hat, gab an, rund 1.500 Patienten zu haben. "Da kann man bei der Übergabe nicht über jeden sprechen, das ist klar", meinte der Richter.
Der Verteidiger beantragte einen weiteren Sachverständigen aus dem Bereich der Allgemeinmedizin, um zu beweisen, dass sein Mandant aus der Sicht eines praktischen Arztes keinen Fehler gemacht hat. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Richter Stefan Koller verurteilte den Angeklagten schließlich wegen fahrlässiger Tötung, aber nicht "grob fahrlässiger Tötung", zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 40 Euro (7200 Euro). Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.