Der Prozess gegen einen steirischen Arzt, der jahrelang seine vier Kinder gequält haben soll, wurde am Freitag fortgesetzt und ging mit einem Knalleffekt zu Ende. Das Urteil: Freispruch in allen Punkten.
Zuvor wurden die Kinder des Arztes, seine Geliebte und seine Ex-Frau insgesamt sechs Stunden lang befragt, gezeichnet wurde im Hinblick auf den Arzt ein Bild von einer - Zitat des Sohnes - "sadististischen, perversen Kreatur, die unsere Kindheit zerstört hat".
Richter Andreas Rom in seiner Urteilsbegründung: "Es ist zwar in der Familie viel passiert, aber aus den Akten heraus und in den heutigen Aussagen findet man keinen einzigen Anhaltspunkt, dass die Handlungen mit derartiger Intensität begangen wurden, dass sie auch strafbar sind ." Der Richter sieht in den Vorwürfen der Familienmitglieder vielmehr einen "verspäteten Rosenkrieg nach der Scheidung". Die Gattin habe - mithilfe der Kinder - versucht, dem angeklagten Arzt etwas in die Schuhe zu schieben. Der Richter weiters zum Arzt: "Es war ein rechtlicher Feldzug gegen Ihre Person. Die Vorkommnisse - und die hat es zweifelsohne gegeben - wurden übertrieben dargestellt. Die Handlungen wurden angeleitet wegen einer unglücklichen Ehe und wegen der Kränkung der Ehefrau. Und nochmals: Die Vorfälle waren nicht in jener Intensität, dass es für den Strafbestand des Quälens reicht."
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Familienangehörigen des Arztes nahmen des Urteilsspruch mit Entsetzen auf.
Zur Vorgeschichte des Tages: Seit Jänner war das Verfahren unterbrochen, weil ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten in Auftrag gegeben worden war. Der Mediziner wurde nun als zurechnungsfähig eingestuft.
Allein die Befragung der vier Kinder des steirischen Arztes dauerte sechs Stunden. Alle vier weinten und taten sich sichtlich schwer, die Ereignisse zu schildern. Die Mutter gab an, sie habe erst ein Jahr nach der Scheidung vom ganzen Ausmaß der Ereignisse erfahren.
Am Vormittag sagte die erste Zeugin aus: "Er ist ein Psychopath!". sagte eine Frau, mit der der Arzt früher eine Affäre hatte. Sie berichtete davon, dass er sich selbst verstümmelt habe. Er hätte jede Woche mit Selbstmord gedroht, seinem achtjährigen Kind habe er Zigaretten gegeben und gemeint, dass Drogen immer gut seien. Ihrer Aussage nach gab er auch seinen Patienten Joints "gegen Depressionen". Sie selbst sei immer wieder suizidgefährdet, gerettet habe sie die Ex-Frau des Arztes, mit der sie mittlerweile ein sehr gutes Verhältnis habe. Dass er eine Schusswaffe hatte, bestätigte die Zeugin auch. Diese habe er sich aus Angst vor seiner Frau gekauft, hatte er seiner damaligen Freundin erzählt.
Bei den Demütigungen gegenüber seinen Kindern sei sie aber nie dabei gewesen. Die Kinder, die heute alle erwachsen sind, waren laut Staatsanwalt Christian Kroschl "jahrelangen schweren Leiden" ausgesetzt.
Eine der Töchter - die Kinder wurden in einem abgesonderten Raum befragt - gab an, die Selbstmorddrohungen seien "ganz normal" gewesen. Sie schilderte die erschütternden Erlebnisse: "Meine Geschwister mussten verdorbene Lebensmittel essen. In der Früh hatte ich schon Angst, was er jetzt wieder sagt, wen er als nächstes beleidigt." Auch seine Selbstverstümmelungen habe sie teilweise miterlebt. "Er ist ein Tyrann, sadistisch, eine abartige Person", beschrieb sie ihren Vater.
Die Kinder sind sehr ausführlich befragt worden. Zwei Mädchen schilderten, dass sie unter den ständigen Selbstmorddrohungen des Vaters gelitten hatten. Beleidigungen waren laut Zeuginnen auch an der Tagesordnung, die Angst beherrschte die Kinder: "Ich habe gedacht, er bringt uns um", erzählte eines der Mädchen unter Tränen.
Während die älteste Tochter des angesehenen Arztes und Bruders eines Spitzenpolitikers einigermaßen gefasst von ihrer Kindheit und dem Verhalten des Vaters erzählen konnte, weinte die Jüngste schon vor Beginn des Gespräches mit dem sehr einfühlsamen Richter. "Er hat oft gesagt, da kann ich mich gleich erschießen. Er hat sich auch die Waffe an den Kopf gehalten", beschrieb das Mädchen. Einmal habe sie auf Bitte der Mutter die Polizei gerufen: "Ich hab' nur geweint und gehofft, dass sie ihn endlich mitnehmen".
Sechs Jahre lang Morphium und Schlaftabletten
Die Tochter hat vom Vater - den sie wie auch ihre Geschwister nur beim Vornamen nennt - sechs Jahre lag Morphium bekommen, mit 18 hatte sie Entzugserscheinungen. Auch Schlaftabletten bekam sie, davon habe sie "Halluzinationen bekommen." Auf die Frage, wie sie ihren Vater als Mensch beschreiben würde, sagte das Mädchen unter heftigem Weinen: "Nein, das ist kein Mensch".
Die Verteidigerin wollte vom Sohn wissen, warum die Anzeige erst zwei Jahre nach der Scheidung erfolgt ist: "Weil da erst alle angefangen haben zu reden." Auch er sprach über seinen Vater ähnlich drastisch: Er sei eine "sadistische, perverse Kreatur. Durch ihn wurde die ganze Kindheit zerstört!"
Die Reaktion des Angeklagten auf die Zeugenaussagen: "Da sind so viele Aussagen, die nicht stimmen. Ich habe keine Waffen und keine Drogen."
Arzt stritt die meisten Vorwürfe ab
Schon zu Prozessbeginn hatte der Arzt die meisten Vorwürfe abgestritten: Das seien alles nur Behauptungen seiner permanent eifersüchtigen Frau. Er gab zu, andere Beziehungen gehabt zu haben, wollte aber nie eine Scheidung, weil er ein "sehr konservativer Mensch" sei. Die ganze Familie war jahrelang in psychotherapeutischer Behandlung, was er normal fand. "Ich war auch 15 Jahre in Therapie, aber jetzt bin ich stabil", betonte er bisher bei der Verhandlung. Zumindest zurechnungsfähig ist er nach Meinung von Gutachterin Adelheid Kastner.
Der Arzt darf vorerst nicht mehr ordinieren. Ihm wurde Ende Jänner "mit sofortiger Wirkung" die Berufsausübung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens untersagt. Die Maßnahme hat das Land laut Ärztegesetz "bei Gefahr in Verzug zum Schutz der Allgemeinheit bis zur Klärung des Tatverdachts" anzuordnen.