Die heile Welt ist für manche Landwirte im Ennstal Vergangenheit. Seit vor eineinhalb Wochen ein Wolf keine 100 Meter neben der Bundesstraße mitten zwischen Gehöften drei Schafe gerissen hat, vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Wolfssichtung gemeldet wird.
Manches davon dürfte aus dem Reich der Fantasie stammen, etwa, dass Meister Isegrim in einer Bushütte auf Beute gewartet hätte oder durch ein Fenster direkt in einen Stall gehechtet sei. Es gehen wohl auch nicht alle verendeten Rehe auf sein Konto. Bei einem aktuellen Schafsriss in Gröbming haben die Fachleute zwar einen Verdacht, hegen aber erhebliche Zweifel.
Erneuter Wolfsriss in Donnersbach
Allerdings sind sie der Meinung: Es gibt erneut einen Fall, bei dem mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wolf zugeschlagen hat. Anhand des Musters und der massiven Wunden schätzt Gutachter und Amtsveterinär Wilfried Laubichler, dass in Donnersbach am Ilgenberg ein Schaf gerissen wurde. "Irgendwas muss den Wolf jedoch gestört haben, weil er es kaum verwertet hat", fragt sich Laubichler, der nun DNA-Proben eingeschickt hat. Die Ergebnisse stehen – auch in ersterem Fall – noch aus.
Wieder ist der Ort des Geschehens nur wenige Hundert Meter vom Bauernhof entfernt. "Wir haben unsere Schafe geschoren und dann über Nacht in ein Schafzaungehege im Freien gelassen." Am nächsten Tag habe man das schwerstverletzte Tier entdeckt. Es hat noch gelebt und musste notgeschlachtet werden.
Die Herde mit vielen Lämmern jedes Mal über Nacht im Stall unterzubringen, sei gar nicht so einfach – also habe man inzwischen Wildkameras aufgestellt. "Wir schauen alle drei bis vier Stunden nach, ob sich irgendetwas tut", sagt die Landwirtin.
Große Betroffenheit und Angst
Die Betroffenheit ist groß – wie auch bei dem Fall in Oberstuttern. "Bisher wurde immer gesagt, der Wolf meidet Wohngebiete. Wer verantwortet so ein Gemetzel, wie es bei uns passiert ist?", fragt etwa Johanna Giselbrecht aus Mitterberg-St. Martin, neben deren Hof der Wolf zugeschlagen hat. Die Sorge dort ist groß: Kinder lässt man nicht mehr alleine im Wald spielen, manche wollten sie gar nur mehr mit dem Auto zur Bushaltestelle bringen. Auch manche Spielplätze im Ennstal werden gemieden
Giselbrecht hat sogar einen Offenen Brief zu dem Thema verfasst. "Dass man aus fachlicher Sicht keine Angst vorm Wolf haben muss, klingt wie Hohn in den Ohren 'verängstigter' Menschen und da bin ich nicht alleine!" Selbst bei der abendlichen Hofrunde beschleiche einen "ein mulmiges Gefühl".
Univ.-Prof. Kurt Kotrschal, Befürworter von Wolfsbesiedelungen und langjähriger Forscher auf dem Gebiet der Verhaltensbiologie, versucht die Sorgen zu nehmen:
Bei der Landwirtschaftskammer im Ennstal rät man den rund 1200 Bauern, die über den Sommer Tiere auf den umliegenden Almen haben, dennoch zum Auftrieb. "Wegen dieser Vorfälle sollten wir nicht unsere Wirtschaftsweise aufgeben. Selbst wenn Betroffene ihre Tiere nach einem Riss herunterholen müssten, wäre es schlimm, wenn nicht aufgetrieben würde", erklärt Kammerobmann Peter Kettner. Er weist darauf hin: Die rund 17.000 Tiere, die aufgetrieben werden, erhalten ein Viertel aller steirischen Almen. "Wenn die ein oder zwei Sommer nicht dort sind, wachsen diese Grünflächen rasch zu."