Hinter den riesigen Glasscheiben liegt das Reich der Dämmerung. Hüben, im modern gestalteten Speiseraum der "White Panther Produktion", herrscht emsiges Treiben. Fotoprofi Martin Huber drapiert liebevoll eine schimmernd blaue Garnele auf ein Bett aus Eis. Es ist eine Detailfrage, die ihn gerade umtreibt: Wohin mit den langen Fühlern des Tieres, die so White-Panther-Chef Maternus Lackner ein wichtiges Merkmal für die Qualität der Tiere sind. Garnelen sind nämlich Sensibelchen. Haben sie Stress, werfen sie ihre Fühler ab.
Drüben, im Halbdunkel der Produktionshalle, tut sich was. Irgendwo weit hinten in der riesigen Halle zerreißen aufblitzende Reflexe einer Taschenlampe das Dämmerlicht. Biologe Florian Pölzl sieht nach dem Rechten. Die unabsichtlichen Lichtzeichen enthüllen die Dimension der Anlage. 38 mal 100 Meter misst die Produktionshalle, die sich dank heimischem Holz als Baustoff trotzdem harmonisch in die Landschaft des Paltentales fügt.
Dicht gedrängt reihen sich große, schwarze Wassertanks aneinander, die engen Gänge dazwischen verlieren sich im Dämmerlicht. Das Wasser kommt aus den Paltentaler Bergen und wird mit Meersalz, Mineralien und Spurenelementen versetzt, um den sensiblen Krebstieren ein optimales Umfeld zu schaffen. Einer der 16 Mitarbeiter der White-Panther-Produktion machte sich den Spaß und stattete sich für einen Arbeitstag in der Halle mit einem Schrittzähler aus. 16 Kilometer kamen zusammen. Sportlich.
Wie kommt man auf die Idee, mitten in den obersteirischen Bergen Garnelen zu züchten? Immerhin stammen die Krustentiere zum weit überwiegenden Teil aus tropischen Meeren, also ziemlich genau vom anderen Ende der Welt. Die White-Panther-Produktion-Gesellschaft ist Teil des Familienbesitzes Rottenmann der Familie Flick, die Idee zur Erweiterung der Wirtschaftsbetriebe um eine Garnelenzucht geht auf Milliardärin Ingrid Flick zurück. Maternus Lackner schildert die Details: "Eigentlich hat die ganze Geschichte mit unserer Holzgasanlage angefangen." Stark vereinfacht erklärt: Bei Holzvergaseranlagen wird durch teilweise Verbrennung des Holzes unter Luftmangel Gas gewonnen, aus dem wiederum Strom erzeugt werden kann. Nebenprodukt dieses Prozesses ist Wärme. Im Zuge der Überlegungen, wie man diese Wärme in der Region am besten nutzen könne, kam Unternehmerin Ingrid Flick auf die Garnelenzucht.
Die Holzgasanlage ist nicht nur Ausgangspunkt der durch und durch steirischen Garnelenproduktion, sondern auch buchstäblich das Herz des gesamten Projektes. Der Strom der Anlage, sie erzeugt pro Jahr 1,5 Millionen Kilowattstunden Ökostrom (genug um ein Elektroauto am Äquator rund 297 Mal um die Welt zu schicken), hält Produktion und Garnelen selbst bei einem großflächigen Blackout im Wortsinn am Leben. In einer Insellösung mit mehreren Backups. Aus gutem Grund: Wenn die Anlagen voll besetzt sind, schwimmen sozusagen rund 3,5 Millionen Euro in den Becken. Ohne Strom und Wärme sterben die Tiere binnen Stunden. Statt einem Ertrag blieben dann nur noch Entsorgungskosten. Neben dem Ökostrom entstehen auch noch 2,7 Millionen Kilowattstunden Abwärme, deren wichtigster Zweck es ist, die Becken für die Garnelen auf durchgängig 28 bis 29 Grad zu erwärmen. Aus den Rückständen der Holzgasanlage entstehen auch noch rund 100 Tonnen Biokohle, die zu Grillkohle weiterverarbeitet werden.
Biologe Florian Pölzl irrlichtert immer noch in den Tiefen der 3800 Quadratmeter großen Produktionshalle herum, unsichtbar quasi, was ihn mit den Tieren, die er betreut, verbindet. Durch Schwebstoffe in den riesigen Tanks sind die Tiere kaum zu sehen. Im Lichtkegel der Taschenlampe werden sie nur kurz schemenhaft sichtbar. Kleine köstliche Geister, sensibel und lichtscheu.
Die Trübung ist übrigens natürlich und hat nichts mit Verunreinigung zu tun, das Wasser wird permanent über Filteranlagen gereinigt. Schließlich ist man in der europaweit einzigartigen Produktionsstätte ihrer Art auf eines besonders stolz: artgerechte Haltung ohne den geringsten Einsatz von Chemie, Antibiotika oder Hormonen sowie abwechslungsreiches, gesundes Futter, das perfekt auf die verschiedenen Entwicklungsstadien abgestimmt ist.
Die Führung durch das Reich der Finsternis ist schweißtreibend. Bei tropischen Verhältnissen geht es - in Schutzkleidung und mit Haarnetz und Maske - gemeinsam mit Maternus Lackner und Florian Pölzl ins Wohnzimmer der Garnelen. Zwei Arten werden im Rottenmanner Ortsteil Edlach gezüchtet der White Tiger Shrimp (Litopenaeus Vannamei) und der Blue Shrimp (Litopenaeus Stylirostris). Letzterer ist der Star der Produktion, dank seiner spektakulären blauen Farbe, vor allem aber wegen seines nussig-süßlichen Geschmacks.
Das Interesse, sowohl von Privatkunden, als auch aus der Gastronomie, sei schon jetzt groß, bei Letzterer habe halt Corona einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Apropos Corona: Eigentlich wäre in Rottenmann geplant gewesen, Garnelen-Larven aus Mittelamerika zuzukaufen und im Paltental aufzuziehen. Nach diesem System arbeiten praktisch alle Produktionen in Europa. Wegen Corona war der Transport der Larven per Luftfracht plötzlich nicht mehr möglich und den Verantwortlichen wurde schlagartig klar, auf welch wackeligen Beinen ein solches Produktionsmodell steht.
Weil Improvisation und eigene Innovation am Paltentaler Produktionsstandort ohnehin zentrales Element sind, machte man kurzerhand aus der Not eine Tugend, kaufte Brutstöcke zu und übernahm die Zucht der Larven kurzerhand selbst. Das sorgte nicht nur für die Absicherung der eigenen Produktion, sondern wurde durch den Verkauf von Larven an andere Zuchtbetriebe auch noch für ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein. Quasi ganz nebenbei macht die eigene Zucht die Garnelen aus dem Paltental auch noch zu waschechten Steirern, blitzblau mit grünem Herz - und dank wegfallender Transportwege durch und durch ökologisch.
Christian Nerat