Ein geistig verwirrter Oststeirer, der seinen eineinhalbjährigen Neffen in seinem Auto entführt. Ein Grazer, der Polizisten vor der Wohnungstür für Einbrecher hält und auf sie schießt. Ein schwer betrunkener Südoststeirer, der vom Balkon aus rund 60 Schüsse abgibt und dabei auch Polizeiautos durchlöchert. Alle diese extrem heiklen Sonderlagen in den letzten Jahren konnten von der "Verhandlungsgruppe Süd" unblutig beendet werden. Am Mittwoch feierte diese Spezialeinheit der Polizei ihr 30-jähriges Bestehen.
Im Jahr 1993, als noch Gendarmerie und Polizei nebeneinander für Sicherheit in Österreich sorgten, wurde die Verhandlungsgruppe (VG) Süd bei der Exekutive eingerichtet. Diese Einheit wird nur im Anlassfall zusammengezogen – bei Geiselnahmen, Entführungen, Verbarrikadierungen, Ankündigungen von Suiziden oder bei Verdacht auf eine Fremdgefährdung. Zum sicher spektakulärsten Einsatz bisher kam es im Zuge der Geiselnahme in der Justizanstalt Graz-Karlau im Jahr 1996, als Häftlinge drei Mitarbeiterinnen der Anstaltskantine in ihre Gewalt brachten. Dieser Psychokrieg zwischen drei hochgefährlichen Gewaltverbrechern und den Verhandlern rund um Eduard Hamedl ist im Jahr 2020 mit Schauspieler Harald Krassnitzer authentisch verfilmt worden.
Doch unter den bisher 550 Anforderungen und Einsätzen seit der Gründung zählen auch solche, die kaum öffentliches Aufsehen erregten. Die Polizistinnen und Polizisten betreuen etwa mit viel Feingefühl auch Angehörige während einer Krisensituation oder im Rahmen von Straftaten.
Rund um die Uhr erreichbar
"Verhandeln ist Teamarbeit. Verhandeln bedeutet aber auch Kommunikation. Leben und Gesundheit der Geiseln oder Unbeteiligter haben Vorrang vor Strafverfolgung", erklärt VG-Süd-Leiter Hofrat Herbert Fuik das Credo seines Teams. Die gewaltfreie Lösung stehe immer im Vordergrund.
Die VG Süd besteht derzeit aus 29 Personen und ist für die Steiermark, Kärnten und das südliche Burgenland zuständig. Die Exekutivbeamten nehmen diese Arbeit neben ihren sonstigen dienstlichen Aufgaben wahr und sind rund um die Uhr erreichbar – auch außerhalb ihrer Dienstzeiten.
In einer mehrwöchigen Ausbildung werden sie für die herausfordernde Arbeit speziell geschult. Zu den Ausbildungsinhalten zählen unter anderem Stressbewältigung, Gefährdungsanalyse, Wahrnehmung, Psychiatrie und Krisenintervention. In Übungen und Sprechtrainings wird ihre Belastbarkeit auf die Probe gestellt. Mindestens zweimal jährlich gibt es Fortbildungen oder Übungen – oft gemeinsam mit dem Einsatzkommando Cobra, die in der Regel den Zugriff bei gefährlichen Straftätern vornimmt.