Claudia Polic öffnet ihrem Sohn die Tür, Georg fährt in seinem Rollstuhl über die Rampe in den Garten. Der junge Mann lacht. Stolz zeigt er seine Sneaker, cool schauen sie aus – wie es ein Jugendlicher sich halt wünscht. Die Schuhe, eine Spezialanfertigung. Der Rollstuhl, ebenso. Alle Behelfe, die Georg braucht, kosten viel Geld. Auch seine Behandlung ist teuer. Georg Polic leidet an der Muskelschwundkrankheit SMA (Spinale Muskelatrophie), Typ 2. Rund 300 Personen sind bundesweit davon betroffen. Bisher gibt es nur ein Arzneimittel, das dagegen hilft: Spinraza, es wurde 2017 in Österreich zugelassen.
Jahrelanger Prozess um teure Behandlung
Wer nicht behandelt wird, dem fällt das Atmen schwer, das Schlucken oder langen Sitzen. Georg braucht alle paar Monate eine Spinraza-Spritze, sie ist für ihn überlebensnotwendig. Doch eine Spritze des Arzneimittels kostet 77.000 Euro – und lange musste die Familie bangen, ob die Steiermärkische Krankenanstaltengesellschaft (Kages) die Kosten übernimmt. Die Kages begründete, dass ein Präzedenzfall hieße, Ärzte oder öffentliche Spitalsträger müssten per Gerichtsbescheid Wunschbehandlungen jeglicher Art durchführen. Ein jahrelanger Rechtsstreit begann, schlussendlich entschied das Oberlandesgericht vor zwei Jahren für Georg Polic – und gegen die Kages.
Erste Spritzen über Spenden
Doch bevor die Kages die Kosten tragen musste, benötigte Georg bereits Spritzen, um zu überleben. Das Geld dafür sammelte die Familie gemeinsam mit Anwältin Karin Prutsch über Spenden. Auch diese 210.000 Euro klagte die Familie bei der Kages ein – und erhielt nun tatsächlich Recht. "Der Oberste Gerichtshof hat in letzter Instanz entschieden, dass die Kages schon damals die Behandlung hätte zahlen und durchführen müssen", sagt Anwältin Karin Prutsch.
Wichtige Summe für Georg
"Ich war kürzlich unterwegs zu einem Prozess, da hat mir meine Sekretärin mitgeteilt, dass das Urteil da ist. Ich habe sofort im Auto Frau Polic angerufen und nach Georg gefragt. Sie sagte, er schläft. Ich habe nur geantwortet: 'Aufwecken! Wir haben gewonnen!'" Frau Polic erinnert sich: "Mir sind die Tränen gekommen." Am Samstag feierte Georg seinen 18. Geburtstag, am Montag wird das Geld offiziell auf sein Konto überwiesen. "Das Urteil wurde von uns vollinhaltlich erfüllt und die Zahlungen umgehend geleistet", heißt es von der Kages.
Glückliche Mama: "Er musste so viel mitmachen"
"Jetzt kann Georg endlich die Therapiegeräte, von denen er immer geträumt hat, kaufen. Hammer, es ist einfach Hammer!", sagt Claudia Polic und strahlt dabei vor Glück. Nicht nur ihr Sohn, auch sie sieht wesentlich entspannter aus als vor ein paar Jahren, als sich der Rechtsstreit um die Behandlung noch zog. "Es ist ein gutes Gefühl, zu wissen, dass das eigene Kind mit den notwendigen Behelfen abgesichert ist", sagt sie, vor allem nach einem so langen Kampf. "Es gebührt Georg, er hat so viel mitgemacht." Bevor ihr Sohn mit Spinraza behandelt wurde, wog er wenig, konnte nur Suppe oder Brei zu sich nehmen.
Auch Karin Prutsch blickt zurück: "Ich hatte das erste Mal in meiner Tätigkeit so einen Zeitdruck damals, weil klar war, wenn ich nicht handle, sind schwere Gesundheitsschäden zu erwarten bis hin zum Tod." Nun kann die Anwältin sagen: "Wir haben für ein ganzes Patientenkollektiv eine Behandlung durchsetzen können. Rund ein Dutzend anderer Patienten haben sich bei mir gemeldet, sie alle bekommen jetzt Spinraza."
Ein normaler Teenager
Georg sitzt im Garten neben seiner Mutter, heute darf er sich noch über Faschierten Braten mit Semmelknödeln von der Oma freuen, denn inzwischen kann er alles essen. Er wirkt erleichtert: "Das Urteil zu den Spendengeldern war eine wirklich schöne Nachricht. Es war sehr mühsam, immer wieder aufs Neue, aber am Ende zählt, dass man gewinnt", sagt der 18-Jährige.
Wegfahren will er bald einmal – vielleicht mit einem eigenen, speziell behindertengerechten Auto, das nun in Reichweite ist. "Dann braucht er nicht mehr die Eltern, nur einen Betreuer, darüber freut er sich", sagt Claudia Polic. Bei allem ist und bleibt Georg nämlich ein Teenager, der nicht ständig von seinen Eltern umgeben sein mag. Auch Ausziehen täte er gerne. "Na schauma mal. Ist eh gut, aber vielleicht bist du noch zu jung?", sagt seine Mutter. Die Diskussion, eine herrlich normale zwischen Eltern und Heranwachsenden.
Wünsche ans Gesundheitssystem
Die Familie ist allen Spendern sehr dankbar, vor allem einer Großspenderin aus Wien. "Von dieser hatte ich einen Kontakt und fragte auf Wunsch der Familie, ob sie ihr Geld zurückwill, aber sie wollte, dass es Georg bekommt", erzählt Anwältin Prutsch. Was sich Claudia Polic vom österreichischen Gesundheitssystem wünschen würde: "Wenn es neue Therapiemöglichkeiten gibt, sollten die jedem zugänglich sein. Jeder sollte die Möglichkeit haben, die beste Therapie für sich zu bekommen. Wir haben immer noch eine Zwei-Klassen-Medizin, in einem Land, das genug Geld hat."
Der Fall von Georg kann ein Anfang sein. Dem schwerkranken jungen Mann ist eine medizinische Versorgung gesichert, mit den Spendengeldern plus Zinsen kann er ein besseres Leben führen. Ein neuer Rollstuhl, andere Behelfe, vielleicht einmal ein Auto – alles bringt ihm mehr Eigenständigkeit. Gefragt auf seinen Geburtstagswunsch bleibt Georg aber bescheiden: Essen gehen mit der Familie, am liebsten amerikanische Küche. Was er da am liebsten isst? Egal was, bloß keine Suppe.