Bikerweste, Bart, Tattoos, Spitzname "Bullet": Wenn der 55-Jährige mit seiner Harley vorfährt, kann er schon einschüchternd aussehen. Umso kurioser wirkt es also, wenn er sich mit gut 20 Bikerkollegen in einer Reihe aufstellt und die Männer einen Teddybären umarmen und weiterreichen. Doch genau so läuft die Aufnahmezeremonie des Vereins "Bikers Against Child Abuse", kurz "B.A.C.A.", ab.
"B.A.C.A." setzt sich für Kinder ein, die Missbrauch erfahren mussten. "Wir geben ihnen Kraft und wollen ihnen dabei helfen, ohne Angst zu leben", sagt der gebürtige Salzburger. Etwa, indem er und seine Kollegen das betroffene Kind aufs Gericht begleiten oder vor seinem Haus stehen, wenn es Angst hat.
All das ersetze weder Behördenwege noch Therapie. "Doch es hilft den Kindern dabei, weniger Angst zu haben; etwa wenn es darum geht, auszusagen", sagt "Bullet", dessen Spitzname (zu Deutsch: Kugel, Munition) auf seine Vergangenheit beim Bundesheer zurückgeht. Sowohl die Privatsphäre der Kinder wird geschützt, als auch jene der Biker. Deshalb will "Bullet" seinen bürgerlichen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen.
Teddy, Bikerkutte und Roadname
Nicht nur den Teddy, der durch die Umarmungen symbolisch mit Liebe aufgeladen werden soll, bekommt das Kind bei der Zeremonie, sondern auch eine Bikerkutte und einen sogenannten Roadname, also einen Bikerspitznamen. Außerdem werden zwei Ansprechpartner auserkoren, die dem Kind bei Bedarf stets zur Seite stehen. Wenn er über die Arbeit des Vereins, der seinen Ursprung 1995 in den USA genommen hat, spricht, betont "Bullet" regelmäßig, dass "B.A.C.A." gegen jede Art von Gewalt ist. Warum er das so oft erwähnt? "Aufgrund unseres Auftretens wird uns oft anderes unterstellt. Viele denken, wir sind ein Motorradklub, aber das stimmt nicht. Wir sind ein gemeinnütziger Verein."
Und dennoch: Wohl aufgrund des Auftretens hat in Deutschland 2018 eine Aktion von "B.A.C.A." für Aufsehen gesorgt. 20 Biker hatten in Mönchengladbach eine junge Frau, die von ihrem Großvater missbraucht worden sein soll, auf deren Wunsch aufs Gericht begleitet. Zu Zwischenfällen kam es dabei nicht, aber die Biker am Gericht waren ein Blickfang. Polizei und Hilfsorganisationen distanzierten sich in Deutschland daraufhin vom Verein. In Österreich heißt es seitens der Opferschutzorganisation "Weißer Ring", dass man den Verein "B.A.C.A." bei einem Tag der offenen Tür kennengelernt habe und ihm neutral entgegenstehe, da es ansonsten noch keine Berührungspunkte gab.
"Geben dem Gericht immer Bescheid"
Generell gibt es "B.A.C.A." in Österreich bereits seit 2015. Hierzulande hat der Verein bisher keine (Negativ-)Schlagzeilen gemacht. "Am Gericht ist der Richter der Chef, wenn wir so etwas machen, nehmen wir vorab den Kontakt auf und fragen, ob wir in voller Ausrüstung kommen dürfen", sagt "Bullet". "Wenn nicht, ziehen wir gerne auch ein weißes Hemd an." Bis jetzt sei man noch nie unerwünscht gewesen; auch der Medienstelle des Wiener Strafgerichts ist auf Nachfrage auch kein Zwischenfall mit dem Verein bekannt.
Am Ende des Tages seien die Bedürfnisse und die Privatsphäre des betroffenen Kindes am wichtigsten. "B.A.C.A." sei dazu da, um den Kindern beizustehen, betont "Bullet", der von einem Vorfall erzählt, bei dem ein Kind im Gerichtsgang fast der Person begegnet ist, gegen die es aussagen musste. Die Situation, die für Betroffene ohnehin schon belastend ist, kann so noch traumatischer werden. "Wir haben uns dann in einer Reihe aufgestellt, damit sich die Wege nicht kreuzten. Das Kind bekam davon nichts mit."
Neugierige Nachbarn
Es kann auch vorkommen, dass "Bullet" und seine Kollegen auf Wunsch des Kindes zu dessen Haus ausrücken – etwa weil es Angst hat und sich durch die Biker sicherer fühlt. In so einem Fall werde vorab die jeweilige Polizeiinspektion informiert, "denn es gibt immer wieder neugierige Nachbarn, die uns sehen und die Polizei anrufen". Die Pressestelle der Wiener Polizei hatte noch keinen direkten Kontakt mit "B.A.C.A.". Auf Nachfrage der Kleinen Zeitung heißt es: "Das, was sie tun, verstößt gegen kein Gesetz. Solange es keine Versammlung ist, muss man es auch nicht der Polizei melden."
Damit das Wohlergehen der Kinder sichergestellt wird, gibt es gleich mehrere Regeln bei "B.A.C.A.". So sei Anonymität eine wichtige Voraussetzung, daher auch der Roadname, den die Kinder bekommen. Aus selbigen Grund gibt "Bullet" keine Auskunft über Fälle. Die Aufnahmezeremonien finden an einem abgeschirmten Ort statt, damit auch dort die Privatsphäre gesichert wird. "Gleichzeitig stellen wir uns aber so auf, dass das Kind und sein Erziehungsberechtigter jederzeit gehen können, wenn sie wollen", sagt "Bullet".
Und: Neue Mitglieder von "B.A.C.A." müssen eine Ausbildung absolvieren, die sich über Monate, teils Jahre zieht. Apropos neue Mitglieder: "B.A.C.A." will sich künftig auch in der Steiermark niederlassen. Eine Infoveranstaltung findet am 21. Oktober statt.
Die Biker leisten ihre Arbeit übrigens ehrenamtlich. "Bullet" selbst ist in seinem Alltag im Management eines großen Industriebetriebs tätig. Dass er in seinem Arbeitsalltag in Krawatte und Anzug anzutreffen ist – auch das würde man nicht vermuten, wenn man den tätowierten Biker sieht. "Aber das Leben ist bunt und wir sind genauso vielfältig."
Claudia Mann