"Die Mädels vor so einer Kulisse ein Rennen fahren zu sehen, ist auch für mich als Trainerin unbeschreiblich", kann Birgit Zottler ihre Gefühle kaum in Worte fassen – hinter ihr befindet sich die Radstrecke der Special Olympics World Games in Berlin, mitten auf der Straße des 17. Juni. Am Horizont streckt sich das Brandenburger Tor gen Himmel. "Als wir das erste Mal aus der S-Bahn gestiegen sind und es gesehen haben, waren wir kurz sprachlos."
2017 hat sie gemeinsam mit anderen Eltern in der Oststeiermark das Inklusionsteam Joglland gegründet, um Menschen mit Beeinträchtigung eine Möglichkeit zu geben, sich sportlich zu betätigen. Ihr eigener Sohn hat Trisomie 21. Sechs Jahre später ist sie mit den steirischen Athletinnen Agnes Zenz und Kerstin Holzer nun das erste Mal bei Weltspielen dabei. Insgesamt 95 Menschen treten beim Bewerb über zwei Kilometer an, vom Rennrad bis hin zum City-Bike ist auf der Strecke alles zu finden – hier gilt: Alle fahren, wie sie können, der Spaß steht im Mittelpunkt. Im Start/Ziel-Bereich wird gewunken, abgeklatscht, der Jubel spornt zum Gasgeben an.
Von Nervosität keine Spur
"Es ist so aufregend, wenn alle Leute klatschen und jubeln", sagt die 26-jährige Holzer. Am Mittwoch ging sie auf der Zwei-Kilometer-Strecke an den Start, am Donnerstag steht der Ein-Kilometer-Bewerb für sie am Programm. Die brütende Hitze, die die Athletinnen und Athleten am Mittwochnachmittag ins Schwitzen bringt, stört sie nicht. "Ich habe ja den Fahrtwind", lacht sie. "Sonne ist wirklich besser als Regen", stimmt ihre Trainerin zu. Sowohl Holzer als auch die 27-jährige Zenz konnten in ihren Kategorien den vierten Platz holen. "Ich habe volle Kanne hineingetreten in die Pedale", erklärt Zenz ihre Strategie. "Ich auch", bestätigt Holzer.
Von Nervosität ist vor dem Start bei den beiden keine Spur – sogar Zeit für ein Lächeln bleibt beim Vorbeifahren an den anfeuernden Fans. "Da bin ich wahrscheinlich aufgeregter als Agnes und Kerstin", schmunzelt Zottler. "Beim Aufwärmen durften wir Trainer einmal die Strecke mit abfahren, da hat es mir schon die Gänsehaut hinuntergejagt." Zur Feier des Tages gibt das Team noch seinen "Radljodler" zum Besten. "Den haben wir selbst erfunden", so Holzer.
Üben im Sägewerk
Holzer und Zenz sind erst seit wenigen Jahren beim Inklusionsteam Joglland dabei, umso stolzer ist Zottler auf die Leistung der beiden Frauen. Im Holzsägewerk Posch hat sich das Team intensiv auf die World Games vorbereitet. "Dort haben wir Asphalt und Kurven, sodass wir mit den Sportlerinnen und Sportlern Geschicklichkeit und Koordinationstraining auf dem Rad üben können", erklärt die Trainerin. Zudem gebe es allgemein für alle Sportlerinnen und Sportler einen dreimonatigen Trainingsplan, damit auch Eltern und Assistenzen gut planen können.
Berlin werde das Team aus dem Joglland wohl lange in Erinnerung behalten, sagt Zottler. "Wer weiß, ob wir so etwas noch einmal erleben dürfen." Zenz und Holzer sind nicht die Einzigen, die am Mittwoch am Rad für Österreich an den Start gingen, die beiden Burgenländer Thomas Nagy und Hans-Peter Fleck holten sich die Goldmedaille, die Salzburgerin Agnes Stiegler wurde Fünfte. Zwei weitere Goldene für Österreich gab es beim Reiten in der Dressur und im Bowling-Doppel.
Simone Rendl aus Berlin