Ob es ein Tabu ist? Oder ob einfach nicht darüber gesprochen wird. Susanne Sticher und Max Pichler kümmert das nicht, die 34-Jährige und der 31-Jährige verstecken ihre Liebe nicht. Seit acht Jahren sind die beiden ein Paar. Sie lieben sich, leben zusammen, schlafen miteinander. "Viele können sich das überhaupt nicht vorstellen", sagt Max. "Es wird oft unter den Teppich gekehrt und erst gar nicht darüber gesprochen, dass Menschen mit Behinderung auch ein sexuelles Bedürfnis haben."

Vielen Betroffenen wird erst gar nicht die Möglichkeit gegeben, ein Sexualleben zu entwickeln, weil es an Rückzugsräumen fehlt, weil die Eltern geschlechtliche Beziehungen unterbinden. Obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht, dass Menschen mit Behinderung dasselbe Recht auf Sexualität und barrierefreie Aufklärung haben wie alle anderen. "Menschen mit Behinderung steht das Recht auf Selbstbestimmtheit zu", betont Volksanwalt Bernhard Achitz (SPÖ).

Aufklärung und Schwangerschaft

Diese Selbstbestimmung ist nicht immer gegeben. So zeigt eine kürzlich durchgeführte Untersuchung der Volksanwaltschaft, dass in sechs von zehn Behinderteneinrichtungen keine sexuelle Bildung oder Aufklärung stattfindet. Überprüft wurden 100 Einrichtungen quer durch Österreich. Susanne und Max sind sexuell aufgeklärt. Die möglichen Folgen ihrer intimen Beziehung sind ihnen bewusst. "Das war nie ein Thema", sagt Susanne. Sollte es zu einer ungewollten Schwangerschaft kommen, liegt das in der Verantwortung der Betroffenen, "zumindest, wenn eine entsprechende Aufklärung erfolgt ist", erklärt Achitz. Das Paar hat sich damit beschäftigt. "Ein gemeinsames Kind wäre zwar schön, aber wir wissen, dass eine Erziehung nur mit einer zusätzlichen Betreuung möglich ist. Deswegen haben wir entschieden, keine Kinder zu bekommen."

Sexualbegleitung

Damit Susanne und Max ihr Sexualleben überhaupt ausleben konnten, waren sie anfangs auf Hilfe angewiesen. Beide leiden an einer spastischen Tetraparese, einer Lähmung einzelner oder mehrerer Muskeln, die sie in ihrer Bewegung einschränkt. Die 34-Jährige sitzt im Rollstuhl, Max kann sich nur mit einer Gehhilfe fortbewegen. Der Geschlechtsverkehr war nur mit einer Sexualbegleiterin möglich. Das sind Menschen, die körperlich oder geistig beeinträchtigten Personen helfen, ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben.

Im Fall von Susanne und Max war das Lialin. So nennt sich die Steirerin, die seit elf Jahren als Sexualbegleiterin arbeitet: "Ich biete keinen Geschlechtsverkehr und keinen Oralkontakt an. Das sind die Grenzen. Alles andere ist möglich." 90 Prozent ihrer Kunden sind Männer, fünf Prozent sind Frauen und fünf Prozent Paare. Rechtlich fällt die Sexualbegleitung unter das Prostitutionsgesetz, das von Bundesland zu Bundesland anders gehandhabt wird. Während Lialin also in der Steiermark Hausbesuche unternehmen darf, ist dieselbe Dienstleistung in Kärnten unter Strafe gestellt. "Das macht es unglaublich schwer. Viele meiner Kunden sind nicht mobil und eine andere, ungewohnte Umgebung erschwert die ganze Situation."

Einheitliches Prostitutionsgesetz

Die Alternative wäre eine Laufhaus- oder eine Bordellgenehmigung, doch auch in diesem Fall gibt es rechtlich viele offene Fragen. "Das Problem ist, dass es so etwas bis jetzt noch nie gegeben hat. In einem Laufhaus gibt es nur Kunden und Angestellte. Bei Menschen mit Behinderung sind häufig Begleitpersonen mit. Sie würden in diesem Fall einen eigenen Raum benötigen." Ein einheitliches Prostitutionsgesetz könnte helfen, diese Dinge aus der Welt zu schaffen und Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, so Lialin.

Genauso wie bei Susanne und Max, die kürzlich beschlossen haben, ihr gemeinsames Leben für immer zusammen zu verbringen: "Der nächste Schritt ist die Hochzeit, aber dafür müssen wir noch etwas Geld zusammensparen."