Starke, inspirierende Geschichten von und für Frauen – unter diesem Motto steht das "Austrian International Storytelling Festival", das in der Steiermark und Niederösterreich ab dem 23. Mai mit Artistik, Tanz und Lesungen in die Welt der Erzählungen entführt. Am 24. Mai lädt Folke Tegetthoff in Graz mit "Der Augenblick der Kinder" unter anderem zu einer Weltreise in "Bild und Wort" ein.
#femalestories lautet der offizielle Slogan, der für Geschäftsführerin Tessa Erker-Tegetthoff mehr als nur eine Floskel ist. "Der Kunst- und Kulturbereich ist immer noch stark männerdominiert, Frauen erleben dahingehend – wie in so vielen Bereichen der Gesellschaft – immer noch eine Form von Diskriminierung", sagt sie.
Genau das sei eine Initialzündung gewesen, sagt sie, das diesjährige Storytelling-Festival mit dem Fokus auf Frauen in der Kulturszene auszurichten. "Und auch, weil ich dieses traditionsreiche Festival 2022 von meinem Vater übernommen habe." Schon bei der Organisation sei Erker-Tegetthoff damit konfrontiert gewesen, dass viele Frauen nach wie vor bei Festivals nur eingeladen zu werden, um die Frauenquote zu erfüllen. "Deshalb ist dieses Thema so sozialpolitisch relevant", sagt die Geschäftsführerin. "Viele Künstlerinnen haben bei der Bewerbung explizit hervorgehoben, wie schön sie es finden, dass es diesen Fokus gibt." Vor allem im Genre des klassischen Erzählens sei es außerdem schwierig gewesen, überhaupt Frauen zu finden. "Dafür habe ich nicht wirklich eine Erklärung."
Schwangerschaft endete in Kündigung
Unter anderem tritt auch Jongleurin Roxana Küwen im Rahmen des Festivals in der Steiermark auf, sie weiß aus erster Hand, wie sich Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in der Kunst anfühlt. "Ich bin vor Kurzem Mama geworden. Als ich damals erfahren habe, dass ich schwanger bin, wurde mein Wintervertrag, den ich damals mit einem Zirkus hatte, gekündigt, obwohl ich ihm versicherte, dass meine Schwangerschaft keinen Einfluss auf meine Performance haben würde", erzählt sie. Nachdem sie einen Anwalt eingeschaltet hatte, wurden ihr erst Konsequenzen angedroht, am Ende konnte ein Kompromiss gefunden werden. Im Rahmen des Storytelling-Festivals konnte Küwen kurze Zeit später schwanger auftreten. "Dafür bin ich Tessa sehr dankbar und das zeigt, dass Mütter am besten wissen, wozu ihre Körper fähig sind."
In Deutschland ist die Artistin Teil der "Initiative feministischer Circus", die sich für Diversität und gegen Sexismus in der Zirkusbranche einsetzt. "Wir tauschen uns auch aus und suchen nach Wegen, wie wir mit Machtmissbrauch und Übergriffen umgehen können", so Küwen. Auch Rollenbilder beeinflussen die Zirkuswelt, sagt sie. "Jonglage ist ein sehr männerdominiertes Metier, ich möchte dahingehend ein Vorbild sein und zeigen, dass es auch andere Zirkusberufe wie Luftartistin gibt." Ein weiteres negatives Phänomen, dass der Künstlerin regelmäßig auffällt, ist die Wortwahl in Ansagen von Shows. "Egal ob ein Programm einer Frau lustig oder abstrakt ist, sie wird immer als 'wunderschön und elegant' angepriesen werden." Auch Pfiffe müssen Artistinnen oft einstecken, weiß sie. "Es ist ähnlich wie im normalen Alltag."
Erste Frau in der Wiener Philharmoniker in 1997
Vor allem im Zirkus überwiegt die Zahl der Männer im professionellen Bereich, "und das, obwohl im Amateurbereich mehr Mädchen zur Zirkusschule gehen, das dreht sich mit der Zeit dann um", sagt Küwen. Mögliche Babypausen sind einer der Argumente, die in solchen Fällen fallen. "Frauen bräuchten deshalb mehr Unterstützung, denn warum muss es für sie in einem Beruf, in dem wir auf unsere Körper angewiesen sind, gleich ein Nachteil sein, ein Kind zu bekommen."
Nicht nur in der Artistik leben Frauen mit einem Ungleichgewicht, in der Musikbranche ist es ähnlich. "Bei den Wiener Philharmonikern wurde erst 1997 die erste Frau engagiert, das sind gerade einmal 26 Jahre", sagt Julia Lacherstorfer, die Musikerin und Intendantin des Festivals "Wellenklänge", die ebenfalls beim Storytelling-Festival zu Gast sein wird. Stand 2022 sind 23 von 144 Musizierenden in der Philharmoniker weiblich.
Hoffnung für Kulturbranche
"Machtmissbrauch passiert ebenfalls oft, weil immer noch meist Männer in den hohen Positionen sitzen." Der Skandal rund um die Tiroler Festspiele Erl kommt Lacherstorfer in den Sinn, dem früheren Leiter Gustav Kuhn war sexuelle Belästigung vorgeworfen worden, das Ermittlungsverfahren wurde 2020 eingestellt, es gab keine Anklage. Aus diesem Grund müsse es mehr Vertrauenspersonen geben, an die man sich im Notfall wenden kann, so die Musikerin. Auch bei "Wellenklänge" gibt es diese. "Vera", die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport, setzt sich genau dafür ein und unterstützt Betroffene.
Erker-Tegetthoff will unterdessen betonen, dass sich die Branche trotz allem auf einem guten Weg befinde: "Es hat sich in den letzten Jahren enorm viel getan."