Sarah Weiss hört zuerst den Bogen, der über Saiten kratzt. Nach kurzer Stille dröhnt der Gong. Als die Klänge dann nur so über sie hereinbrechen, sich singende Stimmen daruntermischen, kann sie ihren Ohren kaum trauen. So etwas hat sie noch nie gehört, das ist ihr völlig fremd.
Als Sarah Weiss das erste Mal javanische Gamelan-Musik aus Indonesien hört, ist sie eine junge Studentin in New York. Sie hat geplant, ihre Doktorarbeit über die mittelalterliche Musik des 13. Jahrhunderts zu schreiben. Doch sie entscheidet sich anders, gegen Minnesang und Co. Sie fliegt stattdessen auf die indonesische Insel Java, zu den Ursprüngen der andersartigen Musik. Sie möchte mehr darüber erfahren. Dass ihr Professor, bei dem sie die Arbeit übers Mittelalter schreiben wollte, zwei Jahre lang nicht mit ihr redet, nimmt sie in Kauf. Sie will wissen: Was können wir von den fremden Klängen lernen?
Musik machen und sie dabei erforschen
Heute erforscht Sarah Weiss javanische Gamelan-Musik am Institut für Ethnomusikologie der Kunstuniversität Graz. Auf unkonventionelle Art und Weise, finden manche. Denn die gebürtige Amerikanerin verbindet Praxis mit Forschung. Sie leitet ein javanisches Orchester, ein sogenanntes Gamelan aus fast 20 Kunstuni-Forschenden, und spielt selbst mit. "Viele denken, Praxis – also das Spielen von Musik – und Forschung sollte man klar trennen", sagt Weiss. Sie ist aber überzeugt: "Wenn ich Musik mache, lerne, wie sich das anfühlt und ich anderen etwas beibringe, erfahre ich eine Menge über die Musik und die Kultur dahinter."
In einem javanischen Gamelan spielen die Musikerinnen und Musiker auf bronzenen Gongs, auf Töpfen, Tasteninstrumenten, einem geigenartigen Instrument namens Rebab, einer Flöte, bekannt als Suling, und auf Trommeln. Außerdem gibt es Sängerinnen und Sänger.
Weil der Klang so "total anders ist als alles hier im Westen", erfordert die javanische Gamelan-Musik regelrecht, dass man von vorne anfängt, sie ausprobiert und sich informiert, erklärt Weiss. Tue man das, werde man nach und nach Vertrautes und Parallelen zu bekannter Musik entdecken. Und so die Kultur hinter der Musik begreifen können und sehen, wie sie sich von der westlichen unterscheidet. "Letztlich bekommt man ein tieferes Verständnis für die Welt und für sich selbst", sagt Weiss. Das ist, worum es ihr geht.
Aufführung am 25. April
Die Professorin hat sich in den letzten 30 Jahren intensiv mit javanischer Gamelan-Musik beschäftigt. Eineinhalb Jahre lang forschte sie in Indonesien. Sie lehrte in Harvard und Yale, beschäftigte sich etwa damit, wie das Zusammenspiel von Musikern im Westen und in Indonesien funktioniert. Oder was man in Europa und Asien unter "weiblicher" und "männlicher" Musik versteht, welche Rolle die Kolonialisierung dabei spielt. Durch Erforschung der Gamelan-Musik konnte sie einige musikwissenschaftliche Erkenntnisse liefern.
Weiss glaubt, dass man Forschung auch für die Praxis braucht. "Man muss den Kontext um die Musik herum verstehen, um sie interpretieren zu können und spannende Stücke zu schaffen." Ihre Studierenden an der Kunstuni lässt sie neue Musik für indonesische Instrumente erkunden und kreieren.
Um die javanische Gamelan-Musik und die Forschung dazu an die Öffentlichkeit zu bringen, veranstaltet die Grazer Kunstuni am 25. April ein javanisches Schattenpuppenspiel (genannt Wayang Kulit). Dazu wird ein Gamelan spielen. So wie es auf der indonesischen Insel Java ursprünglich gemacht wird. Die Künstler werden javanisch sprechen und singen, eine Dolmetscherin übersetzt aber simultan und erklärt Hintergründe. Damit jeder Musik und Kultur verstehen kann, Forschung und Praxis zusammenkommen.