Sechs Wochen undercover in einer Grazer Konversionstherapie. Wie kann man sich das vorstellen, was geschieht in einer solchen "Behandlung"?
VERENA BAUER: Die vermeintliche Therapie, die ich besucht habe, nennt sich Hagiotherapie. Das ist eine Art Gesprächstherapie, wo versucht wird, homosexuelle Menschen mit verschiedenen Methoden, zum Beispiel Meditation, davon zu überzeugen, dass Homosexualität eine Krankheit ist.
Wie genau war der Ablauf, was wurde besprochen?
Ich wurde von Heidi (Name von Redaktion geändert) behandelt. Oft hatte ich das Gefühl, meine Therapeutin wiederholt sich ständig, versucht, mir ständig dasselbe einzubläuen. Sie sagte Dinge wie, ich hätte mir meine "Neigung" selbst ausgesucht und könnte mich jederzeit dagegen entscheiden. Und eigentlich erwartet sie genau das von mir. Weil ich mich sonst nur dem "Bösen" zuwende. Im Grunde sei ich nämlich ein guter Mensch, aber ich lasse mich zu leicht vom "Schlechten" verführen.
Was ist damit gemeint?
In der Lehre der Hagiotherapie kann die Liebe nur zwischen Mann und Frau stattfinden. Gleichgeschlechtliche Beziehungen würden nur zu "Traumata und Schuldgefühlen" führen. Einmal sind wir auf das Thema Instinkte zu sprechen gekommen. Heidi meinte, der Sexualtrieb sei nichts anderes als ein Instinkt, dem nur Tiere blindlings folgen würden. Ein Mensch könne unterscheiden, was richtig und was falsch ist und sich bewusst dagegen entscheiden. So wie ich mich gegen meine Homosexualität entscheiden sollte.
Wie fühlt es sich an, so etwas zu hören?
Vor jeder Stunde habe ich mir bewusst gemacht, dass ich nur zu Recherchezwecken da bin. Dass ich diese Therapie nicht emotional an mich heranlasse. Ich habe versucht, das Ganze von außen zu betrachten.
Hat es funktioniert?
Meistens, aber trotzdem war es nicht einfach. Ständig gesagt zu bekommen, ich hätte eine "geistige Störung" oder wäre nur dann glücklich, wenn ich einen Freund hätte – das geht an keinem spurlos vorbei.
Hat es auch andere Betroffene in der Einrichtung gegeben?
Nein, ich habe niemanden getroffen. Die Therapien sind ausschließlich Einzeltherapien. Aber Heidi hat mir von zwei Männern erzählt, die in der Einrichtung waren. Sie haben anfangs noch mit sich gehadert, aber würden jetzt ein heterosexuelles Leben führen. Heidi nennt das "Heilung".
Was könnten die Folgen einer Hagiotherapie sein?
Ich glaube, Betroffene könnten auf Dauer ein problematisches Selbstwertgefühl entwickeln. Vielleicht werden sie niemals in der Lage sein, ihre Sexualität ohne schlechtes Gewissen auszuüben. Besonders bei jungen Menschen könnten die Folgen noch gravierender sein, weil sie häufig verunsichert sind. Es braucht auf der Stelle ein Gesetz ohne Grauzonen, das Therapien zur "Heilung" von Homosexualität verbietet.