Frau Steiner, Sie wurden von der Tageszeitung „Die Presse“ gerade als „Österreicherin des Jahres“ in der Kategorie Forschung ausgezeichnet. Welche Bedeutung hat das für Sie?
ANDREA STEINER: Eine Große. Es ist eine Auszeichnung für das gesamte Team am Wegener Center der Universität Graz und bedeutsam, weil es zeigt, dass die Klimaforschung sehr wohl Relevanz hat und gesehen wird.
Man steht als Klimaforscherin oft in Kritik. Liegt das daran, dass die Leute gar nicht hören wollen, was man zu sagen hat?
Es sind halt keine angenehmen Informationen, die man präsentiert, aber es sind harte Fakten. Ich beschäftige mich damit, wie sich die Temperatur in der Atmosphäre langfristig entwickelt. Hier haben wir einfach klare Datenreihen seit Ende der 70er und noch genauere Satellitendaten seit 20 Jahren.
Und diese wären?
Wir messen, dass sich die Temperatur in der Atmosphäre – so wie wir es auch an der Erdoberfläche sehen – langfristig sehr rasch erhöht. Das ist ganz klar den Treibhausgasemissionen zuordenbar. Sie sorgen für die Klimaveränderungen und verursacht werden sie vom Menschen. Der Temperaturanstieg hat Auswirkungen auf Zirkulationssysteme in der Atmosphäre und wirkt sich auf Hoch- und Triefdruckgebiete aus. Diese bestimmen wiederum unser Wetter. Stabile Hochdruckgebiete können etwa Extremereignisse wie Hitzewellen oder Spätfröste verursachen. Diese Extreme erleben wir bereits.
Gerade ging der wärmste Oktober der Messgeschichte zu Ende. Warum brauchen wir solche Warnsignale? Es ist längst bekannt, in welche Richtung wir uns entwickeln. Die Obergrenze von 1,5 Grad bei der Erderwärmung bis 2030 werden wir nicht mehr erreichen. Wieso hat die Menschheit nicht früher reagiert?
Die Wissenschaft warnt schon seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels, also früh genug, aber es spielen leider viele Interessenslagen mit, bevor etwas umgesetzt wird. Und wenn Menschen nicht direkt ihre Betroffenheit erkennen, werden auch nicht gleich Maßnahmen gesetzt. Zum Beispiel: Ozonloch und Smog. In den 1980er Jahren standen diese Punkte im Mittelpunkt der Umweltdebatte. Graz hatte etwa Smog-Alarm, das war unmittelbar für die Menschen spürbar. 1987 wurde dann auch das Montreal-Protokoll zum Schutz der Ozonschicht von zig Staaten unterzeichnet.
Ein neues Abkommen könnte auf der 27. Weltklimakonferenz beschlossen werden, die heute im ägyptischen Sharm El-Scheik startet. Delegierte aus knapp 200 Staaten werden erwartet. Es wird aber kritisiert, dass nach solchen Abkommen viel zu wenig passiert. Ist das Format überhaupt sinnvoll?
Ich halte es für sehr wichtig, dass sich alle Staats- und Regierungschefs an einem Tisch zusammensetzen. Es war ja schon 2015 ein Erfolg, dass das Pariser Abkommen zustande kam. Jetzt geht es darum, rasch weitere notwendige Schritte zu setzen.
Was ist für Sie der dringlichste Punkt, wo gehandelt werden muss?
Emissionsreduktion, auf allen Ebenen. Das ist der Schlüssel. Das muss vonseiten der Staaten geschehen und von jedem Einzelnen.
Kann der Einzelne überhaupt etwas bewirken oder liegt es am Staat Dinge zu regulieren wie den Ausstieg aus fossilen Heizsystemen – etwa in Österreich bis 2040?
Es braucht einerseits klare Rahmenbedingungen vonseiten des Staates, aber auch die Bereitschaft jedes Einzelnen. Wir befinden uns in einer schwierigen Energiesituation, aber man muss gemeinsam und langfristig denken. Wir brauchen Energie, um über diesen Winter zu kommen. Aber wir müssen gleichzeitig einsparen und in erneuerbare Energien investieren und nicht durch diese akute Situation wieder fossile Energiestrukturen subventionieren. Das kann nur eine zeitlich begrenzte Übergangslösung sein. Ein Nicht-Handeln bringt erhebliche Kosten mit sich.
Was bedeutet das für den Einzelnen?
Natürlich muss sich eine Familie Energie und Strom leisten können. Uns muss aber auch bewusst werden, wie viel Energie man verbraucht und wo man im Alltag leicht einsparen kann. Da geht es noch nicht um Verzicht. Hier könnte entsprechend belohnt werden, der Klimabonus kann in diese Richtung gehen.
Sehen Sie eine Gefahr, dass angesichts von Krieg, Pandemie und Teuerungen der Klimawandel in den Hintergrund rückt?
Wir sehen, welche Probleme die Abhängigkeit von Russland mit sich bringt. Wir brauchen unabhängige, erneuerbare Energien, trotz Krieg und Teuerungen. Gas darf nicht langfristig durch andere fossile Treibstoffe ersetzt werden. Wir müssen jetzt handeln und eingreifen. Wir können hier nicht die Augen verschließen, da wir eine Verantwortung gegenüber der zukünftigen Generation haben.
Verliert man manchmal den Glauben, wenn man Messungen und Daten vor sich hat – wie Sie in ihrer täglichen Arbeit – die ein Handeln einfordern würden, aber nichts geschieht?
Die Hoffnung stirbt zuletzt. Zum Glück tut sich ja mittlerweile etwas. Und die junge Generation sieht das Problem klar und ist sehr aktiv.
Wie weit darf Aktionismus in dem Zusammenhang gehen? In Museen beschmieren Klimaaktivisten wertvolle Gemälde. In Berlin wurden Klimaaktivisten von „Letzte Generation“ vergangene Woche scharf kritisiert, da ihre Straßenblockade den Einsatz eines Rettungsfahrzeugs verzögert hat, mit tragischen Folgen.
Schwierig. Solche Aktionen sind einerseits verständlich und spiegeln für mich die Verzweiflung junger Menschen wider. Auf der anderen Seite steht nicht mehr die Sache Klima im Vordergrund, also geht es etwas am Ziel vorbei. Aber Organisationen wie Fridays for Future, die das Thema konstruktiver transportieren, sehe ich als sehr unterstützenswert.
Braucht es hierfür wieder eine Greta Thunberg?
Einzelne Personen können etwas anstoßen, wie man an Greta Thunberg gesehen hat. Ein junges Mädchen hat es besser geschafft, auf das Thema aufmerksam zu machen als es Klimaforschern davor gelungen ist. Aber es muss am Ende immer die Politik und Gesellschaft breit dahinter stehen.