Dha. Dhin. Dhin. Dha. Dha. Dhin. Dhin. Dha. Dha. Tin. Tin. Ta. Ta. Dhin. Dhin. Dha. Und wieder von vorne.
Rafael Caro Repetto trommelt mit zwei Fingern auf seine Handfläche und klatscht – bei jedem zweiten "Dha" und "Ta". Es ist nordindische Musik, die er hört und vor sich auf dem Bildschirm sieht. Ein Kreis, der sich im Uhrzeigersinn mit Farbe füllt, zeigt ihm, wann welcher Takt kommt.
Mit seinem Team erforscht Caro Repetto am Institut für Ethnomusikologie der Kunstuniversität Graz, wie wir die Melodien, die Klänge und den Rhythmus anderer Kulturen mithilfe von Computertechnologien erfassen können. "Musical Bridges" heißt das Projekt. Weil es schlussendlich dazu beitragen soll, dass fremde Kulturen mithilfe von Musik nicht mehr so fremd erscheinen.
Musik hilft, Kulturen zu verstehen
"Wir alle haben heutzutage Zugang zu jeder Art von Musik, aber das heißt nicht, dass wir die Musik verstehen", erklärt Caro Repetto. Mit unseren "westlichen" Ohren seien wir gar nicht imstande, bestimmte Musiktraditionen zu begreifen. Weil Musik so tief in der jeweiligen Kultur einer Gesellschaft verwurzelt ist.
"Welche Musik wir als angenehm empfinden, hängt zusammen mit den Traditionen, mit denen wir aufgewachsen sind, und mit den Regeln, die uns vermittelt werden." Caro Repetto ist überzeugt: Wenn man die Musik anderer Kulturen versteht – die Regeln, die Prozesse und das Können des Künstlers dahinter – dann nimmt man sie ganz anders wahr – und erfasst die Gesellschaft jener, die die Musik machen.
Nordindisches Rhythmussystem unterscheidet sich von westlichem
Auf fünf verschiedene Musiktraditionen haben sich die Musikethnologen fokussiert: die nord- und südindischen, die türkischen, die arabischen und die chinesischen. Sie haben Daten gesammelt und versucht zu verstehen. Schließlich haben sie Technologien entwickelt, die Charakteristika und Aspekte der Musiktraditionen analysieren und veranschaulichen. Die hergestellten Computerprogramme wollen sie nutzen, um anderen die Möglichkeit zu geben, Musik zu begreifen.
Die Musik Nordindiens ist derzeit ein Schwerpunkt. Das "dha", das "dhin", das "ta" und das "tin" zu dem Caro Repetto trommelt und klatscht, gehören zum sogenannten Tala. Das ist das Rhythmussystem, das in der klassischen nordindischen Musik mittels Gesten das Tempo regelt. Es unterscheidet sich grundsätzlich vom westlichen Taktsystem, ist sehr viel kleinteiliger und detailliert strukturiert. Die Takte wiederholen sich im Kreis.
Spielerisch die Ohren schulen
So visualisieren auch die interaktiven Computerprogramme von "Musical Bridges" die Klänge. In nordindischen Musikstücken zeigen sie einem zum Beispiel in Kreisform, wann welcher Takt einsetzt. Sie fordern dazu auf, genau hinzuhören und spielerisch zu üben. In einem Tool kann man etwa Punkte sammeln, wenn man bestimmte Elemente im Rhythmuskreis heraushört.
Parallelen zwischen Musik und Kultur fallen auf: Die nordindischen Takte, die im Kreis wiederkehren, weisen darauf hin, wie Inder Zeit definieren, sagt Caro Repetto. Im Hinduismus ist Zeit schließlich kreisförmig: mit der Wiedergeburt. Und die drei Gottheiten Brahma (Schöpfung), Vishnu (Erhaltung) und Shiva (Zerstörung/Neubeginn) bilden gemeinsam einen unendlichen Kreis.
Selbst ausprobieren bei der Langen Nacht der Forschung
In Caro Repettos Vision sollen die Programme in so vielen Schulen und Unis wie möglich zum Einsatz kommen. Derzeit kann sie jeder online nutzen. Caro Repetto stellt sie immer wieder in Kursen und Seminaren – auch außerhalb Österreichs – vor. In Zukunft will das Forscherteam die Programme verbessern, evaluieren und weiter unter die Leute bringen.
Heute stellt Caro Repetto das Projekt in Graz vor. Bei der Langen Nacht der Forschung kann man sich bei freiem Eintritt selbst ausprobieren und wie Caro Repetto zu nordindischen Klängen trommeln und klatschen – und vielleicht zum ersten Mal diese Art von Musik richtig verstehen.