Es ist der 24. August, ein Dienstagnachmittag. Mira bekommt eine Nachricht: „Guten Tag und willkommen im Snapchat Support. Um die Löschung Ihres Kontos zu verhindern, ist eine dringende Verifizierung notwendig. Möchten Sie sich verifizieren?“
Mira schien „Snapchat Support“ vertraut, eine kurze Unsicherheit trotzdem, als der Support den Code anfordert. Die 16-Jährige gibt ihn dennoch preis. Damit nimmt das Unglück seinen Lauf. Der Täter hatte womöglich nur gekaufte Adressen ausprobiert, mit ihrer Rückmeldung saß sie in der Falle.
Konten gehackt
Schon am Abend desselben Tages ist für Mira nichts mehr wie zuvor. Auf ihren Accounts geht nichts mehr. Dafür melden sich Freunde: Sie habe etwas gepostet, das ihnen merkwürdig erschien. Mira weiß: Sie war’s nicht. Was folgt, ist eine Geschichte von Ohnmacht und Verzweiflung.
Sie kann nicht mehr im eigenen Namen posten, der Unbekannte knackt auch den Instagram-Account und benennt ihn um. Er bemächtigt sich ihrer Follower, ihrer Fotos (auch jener, die sie nur privat abgespeichert hatte), ihrer Identität. Mira hat viele Abonnenten. Sie weist darauf hin, dass nicht sie es ist, die hier aktiv ist. Viele kann sie nicht erreichen.
Keine Reaktion
Der Übergriff wird gemeldet, durch sie und durch ihre Freunde, aber ohne Erfolg. Es werden keine Nacktfotos gepostet, daher schlagen die Algorithmen nicht an. Sie wird auf andere Weise diskreditiert. Private Fotos werden ins Netz gestellt, in einen Zusammenhang gestellt, der die Aufnahmen anzüglich erscheinen lässt. Über Paypal und Amazon können Nacktbilder und „Fuck-Videos“ erworben werden, verspricht ein Account, der nicht der ihre ist, allerdings ihren Namen und ihr Foto trägt.
Mira ist verzweifelt, zieht sich zurück. Viele kennen sie in Graz, aber sie kennt nicht jeden. Wer weiß von diesen Posts? Wer glaubt, das sei sie? In wessen Augen ist sie bereits zu Freiwild geworden?
Raus aus der Ohnmacht
Zumindest ist sie nicht allein. Ihre Mutter, sie kennt viele Leute, gemeinsam werden sie aktiv. Sie kämpfen in eigener Sache, und sie wenden sich an die Kleine Zeitung. Beide wollen, dass andere Jugendliche und ihre Eltern eine Vorstellung davon bekommen, was das Netz mit einem macht.
Es gibt viele, die helfen wollen, aber wenig Erfolg. Ein Nachbar mit Erfahrung im IT-Bereich versucht, die Zugänge sperren zu lassen. Vergeblich. Der Täter hat längst Kontonamen und E-Mail-Adresse geändert, nur er selbst hat Zugriff.
Hoffnung und Frust
Eine junge Polizistin nimmt die Anzeige auf. „Ich kenn mich nicht aus, aber wir haben eine eigene IT-Abteilung dafür und ich mach mich schlau.“ Sie nimmt Mira ernst – und nimmt dennoch Hoffnung: Die Staatsanwaltschaft werde frühestens nach einem halben Jahr aktiv.
Für Mira und ihre Eltern brennt der Hut aber jetzt. Sie rennen von Pontius zu Pilatus. Followers, die Mira persönlich kennen, melden sich. „Einer Freundin ist das auch passiert.“ Ein erster Verdacht, wer es sein könnte: eine Adresse, die nach Deutschland führt.
Zwei Wochen später immer noch keine Sperre, aber erste Hoffnung: Die staatliche Ombudsstelle als letzte Zuflucht ist aktiviert (siehe auch Interview). Mira kämpft sich gemeinsam mit der Mutter aus der Lethargie. Screenshots werden gesammelt, Hinweise auf mögliche Täter übermittelt, im Netz recherchiert.
Endlich wieder Zugang
Nach drei Wochen endlich meldet sich die Instagram-Mutter Facebook. Am Abend hat das Mädchen wieder Zugang zu ihrem Konto. Der Hacker auch noch und er verfügt immer noch über alle privaten Fotos aus Miras Snapchat-Archiv. Aber immerhin: Sie kann jetzt auch von sich aus informieren und erreicht alle Follower, auch jene, die sie nicht persönlich kennt.
Der Hacker hatte längst einen zweiten Account erstellt, der ähnlich klingt, verwendete ihre Fotos. Auch die Sperre dieses Kontos hat Mira inzwischen erreicht. Snapchat ist in Arbeit. Das wird schwieriger, aber die Ombudsstelle ist dran.
Opfer und Schuld
Wissen, was passieren kann, einander beistehen, wenn es so weit ist, und die Internetplattformen zum Sperren zwingen – das ist für Miras Mutter der Schlüssel. „Das ist ein Marathon, kein Sprint“, zitiert sie den Netz-Experten Max Schrems. Der alte Rat, vorbeugend das Handy zu verbieten, funktioniere sicher nicht. „Die Kids verschließen sich dann.“
Was Mira und ihre Mutter selbst erlebten, ist, dass es das Schlimmste ist, wenn auch Freunde (oder deren Eltern) nicht Unterstützung signalisieren, sondern dem Opfer auch noch die Schuld zuschieben.
Stellen, die helfen: Rat auf Draht, Saferinternet und eben die Ombudsstelle, auch wenn diese oft erst später als innerhalb der vorgeschriebenen 24 Stunden reagiert.
Für Hass im Netz gibt es eine eigene Anlaufstelle, die von ZARA betreut wird. Präventive Vorträge und Workshops in Kindergärten und Schulen zu den Themen sexualisierte und digitalisierte Gewalt bieten Organisationen wie Hazissa und Logo an.
Claudia Gigler