Einem heiklen Thema hat man sich an der Kunstuniversität Graz (KUG) zugewandt: Wie ist das eigentlich mit der Forschung im Bereich der Musik über die nationalsozialistische Zeit? Ein außergewöhnlicher Vorlesungsbogen wurde im Buch „Stand und Perspektiven der NS-Forschung in der Musik“ zusammengefasst, das als zweites der Reihe „Fokus Musik“ nun erschienen ist (Leykam-Verlag, 24 Euro). Der Sammelband, von Klaus Aringer, Susanne Kogler und Markus Helmut Lenhart herausgegeben, befasst sich dabei sogar über den deutschsprachigen Raum hinaus mit dem heiklen Thema.
Die Institution der Kunstuni in Graz hat hier eine komplizierte und auch problematische Vergangenheit, wurde sie doch faktisch 1938 als eine (von nur drei!) Hochschulen des Dritten Reiches für Musikerziehung gegründet. Das war im Zuge einer allgemeinen Reorganisation passiert, wobei die Musikerziehung einen akademischen Stellenwert erhielt. „Die Quellenlage ist leider schwierig“, erklärt Kogler, weil es mehrere Vorgängerinstitutionen gab.
Enge personelle Verflechtungen
Lokal bedeutsam waren die engen personellen Verflechtungen. So war Erich Marckhl, einer der bedeutendsten Exponenten der Musikerziehung in der Nazi-Ära, nach 1945 (Landes-)Musikdirektor und erster Präsident der Musikakademie (unmittelbarer Vorläufer der Kunstuni), und zwar bis 1971. Hier werden die Kontinuitäten und Brüche besonders deutlich sichtbar. Er war zunächst illegaler Nazi, dann im Dritten Reich engagierter Verfechter einer Modernisierung der Musikpädagogik (von der man zum Teil noch heute zehrt) und war nach 1945 als bestens vernetzter Funktionär für den Wiederaufbau unverzichtbar. Eine Darstellung, die geplant ist, wird zeigen, dass Marckhl keineswegs nur ein fanatischer (Alt-)Nazi war.
Tatsächlich ist die Bilanz jener Zeit nicht ganz einfach zu ziehen, wie Aringer betont. So entwickelten sich an der Reichshochschule (die damals im Schloss Eggenberg beheimatet war) moderne Konzepte der Musikerziehung, wie Lenhart in seinem Beitrag belegen konnte. Bis heute ist die Kunstuni Graz zu Recht darauf stolz, hier Vorreiter zu sein.
Auch andere Personalia (etwa Hermann Schmeidel und Franz Mixa) zeigen, wie man problemlos zwischen den Regimen wechseln konnte, andererseits musste Victor Urbancic den Nazis weichen.
Lange Zeit wurde in Graz darüber nicht gesprochen, doch das Interesse an diesen Vorlesungen (mit internationaler Beteiligung) war ungewöhnlich hoch. Vielleicht, weil das Thema, wie Musik zur ideologischen Unterfütterung genutzt werden kann, wieder sehr aktuell sei, wie Kogler sagt.
Kogler und Aringer sind überzeugt, dass man solche Fragen den heutigen Studenten nahebringen muss: Was wird mit Musik mittransportiert? Ist es egal, was man spielt? Welche Konsequenzen hat das für die Programmgestaltung? Und nicht zuletzt: „Es ist auch wichtig für die Institution selbst, dass sie weiß, woher sie kommt und welche Wandlungen sie durchlaufen hat“, so Aringer.