1.785 Gramm schwer und 3,5 Zentimeter dick... Es ist ein gewichtiges Stück Fußball-Geschichte in Buchform, das Martin Behr, Herbert Troger und Christian Wiedner unter dem Titel "Mythos Gruabn - 110 Jahre Sturm, 100 Jahre Sturmplatz" auf die Welt gebracht haben. Vor allem aber sind es 336 Seiten voller Leidenschaft, Nostalgie und Sehnsucht nach einer Zeit, als der Fußball noch so richtig erdig war.
"In Zeiten, in denen die Kommerzialisierung und Abgehobenheit des modernen Fußballs immer mehr Menschen frustriert und vor den Kopf stößt, wird eine Sehnsucht nach Authentizität spürbar", schreibt Martin Behr, federführender Herausgeber und so nebenbei Redakteur der "Salzburger Nachrichten", in seinem Vorwort zu diesem beeindruckenden Wälzer. Er darf bereits jetzt getrost als ein Standardwerk bezeichnet werden, deckt er doch auch die 110-jährige Geschichte des SK Sturm Graz - inklusive der Zeit des Nationalsozialismus - akribisch ab.
Authentisch war der "Sturmplatz", auf dem der Verein zwischen 1919 und 1997 (mit Unterbrechungen) vor bis zu 11.000 Zuschauern seine Heimspiele austrug, zweifellos. Interessant ist, dass der Spitzname "Gruabn" aber gar nicht so alteingesessen ist, wie sich vermuten ließe. Offenbar kam der Ausdruck erst in den frühen 1980er-Jahren auf, als die Schwarz-Weißen eine Rückkehr an die traditionelle Spielstätte ventilierten, nachdem sie jahrelang im damaligen Bundesstadion Liebenau gefremdelt hatten.
Die Erdverbundenheit des Kultplatzes im Grazer Stadtbezirk Jakomini zeigte sich vor Jahrzehnten auch dadurch, dass es dort bis in die 1950er-Jahre keine Drainagesysteme oder sonstige Be- oder Entwässerungssystems gab. Die Folge: "Gras gab es nur an den Randbereichen, alles andere war Lösch-Schlacke, die sich bei Regen oder Schnee in einen Morast, bei Trockenheit in eine Staubwüste verwandelte."
Das wiederum ermöglichte es dem Autor und passionierten Sturmianer Gerhard Roth biografische Wegmarken wie diese: "Ich erlebte, wie nach einem starken Regen Sturm die Wiener Austria mit Ocwirk, Stojaspal, Melchior und Aurednik 3:2 schlug, weil damals kaum noch Rasen das Spielfeld der Gruabn bedeckte und große Pfützen das gefürchtete und bewunderte Flachpassspiel der Wiener Austria verhinderten."
Überhaupt sind es subjektive Eindrücke wie jene von Roth, die den besonderen Reiz des Buches ausmachen. Für den 1942 geborenen Schriftsteller war die "Gruabn" auch ein "Ort der Begegnung mit den Erwachsenen". "Ich lernte ihre Welt in allen Facetten kennen, ich sah sie jubelnd, wütend, gelangweilt, enttäuscht, aggressiv, hilfsbereit, freundlich, schroff, feindlich, lachend, weinend, resigniert, brüllend, singend, und ich erlebte sie als Sieger und Verlierer. Es war eine Zeit ohne Fernsehen, Computer und Smartphones, eine Zeit, in der es weniger Autos gab und die Gesellschaft patriarchalisch geordnet war."
Es war auch eine Zeit, als der Fußball (und in Folge Gerhard Roth) noch tierische Anekdoten schrieb: "Ich erlebte, wie der legendäre jugoslawische Tormann Damir Grloci während eines Regenspiels neben dem Tor eine Maus fing, sie am Schwanz festhielt und dem Publikum zeigte."
Das Buch ist aber weit mehr als eine Aneinanderreihung von Schnurren aus einer längst untergegangenen Fußball-Epoche. Es ist nicht zuletzt anhand historischer Pläne auch eine akribische Aufarbeitung Grazer Bauhistorie, aber auch ein Stück Sozial- und Fotogeschichte.
Dazu trug vor allem der legendäre Sportfotograf Friedrich Fischer bei, der die einzigartige Atmosphäre in diesem "Fetischstadion" (Zitat des Sturm-Jahrhunderttrainers Ivica Osim) jahrelang dokumentierte. "Fischers gestochen scharfe Momentaufnahmen tasten Emotionen am Platz ab, rücken nahe an die Spieler", lautet ein Befund in dem von Fischers Bildern geprägten Buch, dem nichts hinzuzufügen ist.
Der Exodus aus der Gruabn - und der neuerliche Wechsel nach Liebenau, wo nunmehr in der "Merkur Arena" gespielt wird - ist nun auch schon wieder über 20 Jahre her. Entsprechend grün überwuchert präsentieren sich die ehemaligen Stehplatzrampen, wenn man etwa über "Google Earth" einen Blick darauf wirft.
In der Gegenwart setzt sich eine Bürgerinitiative für den Erhalt und gegen den Abriss der "Gruabn"-Holztribüne ein. Widerspenstige Geister, die an die anarchische Dickschädligkeit der frühen Sportberichterstattung erinnern.
So ist in dem wunderbaren Bildband - er ist wohl ein Muss für jeden Sturm-Fan und ein heißer Tipp für Fußballnostalgiker aller Couleurs - von einem Spiel der Grazer gegen die Amateure aus Wien die Rede, das am 27. Juni 1920 mit 2:3 verloren ging. Die Grazer "Montagszeitung" vom darauffolgenden Tag berichtet jedoch hartnäckig von einem 2:2-Unentschieden. Die Erklärung ist einfach: "Den Elfmeter zum 2:3 anerkennen wir nicht, da er eine Verbeugung vor Wien war."