Unter dem steinalten Gewölbe des früheren Pferdestalls werden ebenso alte Pferdestärken ausgespielt. Pure Kraft. Reduktion auf die inneren Werte. Das auffällige Fehlen jeglicher Hüllen – drei Dinge, die sich in der Motorrad-Werkstatt "Titan" von Thomas „Tom“ Possod (48) und und Michael „Michl“ Siebenhofer (37) in Graz-Waltendorf durchziehen wie ein roter Faden den Ledersattel der umgebauten Harley Davidson. Es ist der Stoff, aus dem die Motor(t)räume sind.
Ein bisserl Staubschicht allerorten, ein bisserl Ölgeruch, der in die Nase dringt, und schnell wird klar: Hier tüfteln zwei passionierte Zweirad-Autodidakte an der Verwirklichung ihres Hubraumtraums. „Wir saßen karrieretechnisch auf einem sehr bequemen Sofa, doch aufgrund unserer Familien war uns die weltweite berufliche Reiserei irgendwann zu viel“, erzählt Michl, dass die Idee einer auf spektakuläre Zweirad-Umbauten spezialisierten Werkstätte ausgerechnet auf einer gemeinsamen Reise ins polnische Krakau, einer Ochsentour mit uralten Motorrädern „im Stile unserer Großväter“, entstanden sei.
Vor zwei Jahren entschieden sich die beiden, ihre sicheren und gut bezahlten Jobs in der Autobranche (für den gleichen Konzern war Michl in der Produktplanung und Tom im weltweiten Verkauf tätig) an den Nagel zu hängen und, wie sie es nennen, „in die Selbstständigkeit zu stolpern“. Zehn bis zwölf (meist sehr alte) Motorräder pro Jahr zerlegen sie seither bis auf ihre Bestandteile und bauen sie in völlig neuer Art und Aufmachung wieder zusammen.
Die Grundessenz ihrer Arbeit bleibt immer die gleiche und könnte genausogut einer Psychologie-Fibel für gestresste Menschen entstammen: Reduzieren, erleichtern. Alles weg, was man nicht braucht. In diesem Fall stammt sie aus der frühen englischen Tuningszene – „Caferacer“ genannt – aus Zeiten, in denen sich die Motorradbesitzer teures Motoren-Tuning nicht leisten konnten und dies durch leichtere Maschinen zu kompensieren versuchten.
Die Liebe zum Entkleiden
Die Lieblingsarbeit in der oft mehrmonatigen Umbauphase erscheint bei Tom und Michl aber ebenso logisch („Das Entkleiden des Motorrads“) wie ihr Lieblingsteil eines Motorrads: Es ist dies nicht der Motor, nicht der Auspuff, sondern „jeder Teil, der im Gegensatz zum Original nicht mehr drauf ist“.
Herunterschrauben ist also seither ihr Metier in zweifacher Hinsicht, nicht nur, was die Teile der Motorräder betrifft: „Ein Jahr vor der Firmengründung haben wir auch unseren finanziellen Lebensstandard heruntergeschraubt, damit der Fall nicht zu tief wird“, erzählt Michl neben der markanten BMW R 100 stehend, die sie mit ihrer „Teile-Diät“ von 240 Kilo Originalgewicht auf unter 200 Kilo getrimmt haben – und auf die via Internet nun ein Kunde aus Hamburg aufmerksam wurde.
"Nackte Hintern" als Markenzeichen
Innerhalb der Branche haben sich die beiden, die quasi einspurig aufgewachsen sind – Michl hat in der Schule schon die Mopeds für alle Kollegen umgebaut und Tom wurde in der um Leibnitz äußerst aktiven Vespa-Szene sozialisiert – schnell einen Namen gemacht. Siege bei Motorrad-Festivals inklusive. Und auch bei der Zulassungsstelle sind die beiden TÜV-Tüftler mit ihren Umbauten klarerweise Dauergäste.
Zum Markenzeichen wurden neben ultrakleinen Tanks, meist selbst gebaut, vor allem der nackte Hinterteil der Motorräder, der auf Kotflügel fast völlig verzichtet. Dass dies der Bequemlichkeit bei Ausfahrten nicht unbedingt zuträglich ist, ist den beiden völlig bewusst: „Schönheit muss leiden“, sagt Michl, „Frauen kommen ja auch häufig mit hohen Absätzen daher, obwohl das sicher nicht bequem ist.“
Und so hat all die Arbeit noch etwas zutiefst Menschliches: Alles, auch Altes, hat Potenzial. Man muss es nur herauskitzeln. Und wenn’s aus dem letzten Eck des Auspuffs ist.