„Die haben zugesehen“, soll Lydia K. den Ärzten gegenüber bemerkt haben, als sie nach der Notoperation aus der Narkose aufgewacht war. Wie berichtet, haben auch die Eltern und die Schwester des Opfers den Polizeieinsatz kritisiert. „Wir haben das Vertrauen in die Polizei verloren. Die Polizisten hätten viel schneller und entschlossener eingreifen müssen“, sagen die Angehörigen.
Nachdem ihr 36-jähriger Ex-Freund Mitte Jänner - in Anwesenheit der Polizei - auf sie eingestochen hat, wirft das Opfer den Beamten unterlassene Hilfeleistung vor. Gemeinsam mit ihrer Anwältin will sie am Mittwoch eine entsprechende Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Graz schicken.
Polizei: "Verwehren uns gegen Vorverurteilung"
"Die Einvernahmen des Beschuldigten und des Opfers sind noch nicht vollends abgeschlossen, weshalb derzeit keine abschließende Aussage getroffen werden kann", hieß es in einer Stellungnahme der Polizei: "Der Bericht über das Einschreiten liegt bereits bei der Staatsanwaltschaft Graz, die eine Entscheidung darüber treffen wird. Wir verwehren uns gegen jede Art von Vorverurteilung, eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit polizeilichen Einschreitens obliegt ausschließlich den Gerichten und Staatsanwaltschaften."
Er attackierte die Frau, bevor die Beamten eingreifen konnten
Der Deutsche war am 16. Jänner vor der Wohnung der Frau aufgetaucht, obwohl vor einigen Tagen ein Betretungsverbot verhängt worden war. Der Mann hatte die 26-Jährige schon zuvor verfolgt und offenbar auch bedroht. Aus Angst vor ihm alarmierte das Opfer die Polizei. Als die Streife in das Stiegenhaus kam, hielt sich der Deutsche in der Nähe einer anderen Wohnungstür auf, aber als das Opfer die Beamten einlassen wollte, zückte er ein Messer und stürmte in die Wohnung seiner Ex. Er attackierte die Frau, noch ehe die Beamten eingreifen konnten.
Der Mann stach mehrmals auf sie ein und fügte ihr schwere Stichverletzungen zu. Die 26-Jährige wehrte die Attacke mit den Armen ab, wodurch das Messer zuletzt in ihrer Hand stecken blieb. Mit Pfefferspray und vereinten Kräften überwältigten die Polizisten den Deutschen und verhafteten ihn. Der Angreifer hat laut der Anwältin des Opfers die Niere, das Zwerchfell und die Lunge gravierend verletzt. Das Herz sei nur knapp verfehlt worden.
Polizei soll nicht versucht haben, den Mann aufzuhalten
"Meine Mandantin macht den Polizisten zum Vorwurf, dass sie weder durch ihren Körpereinsatz noch durch den Einsatz von Pfefferspray oder einer Schusswaffe versucht habe, den Beschuldigten aufzuhalten. Erst eine weitere Polizeistreife, die zeitlich danach eingetroffen ist, hat nach erfolgloser Täteransprache mit der Aufforderung meiner Mandantin abzulassen, Pfefferspray eingesetzt", schilderte Juristin Karin Prutsch. Das Opfer geht davon aus, dass durch ein rascheres Einschreiten der ersten Streife die lebensgefährlichen Verletzungen verhindert hätten werden können. Die beiden Polizisten sowie ein Polizeischüler hätten "zum Selbstschutz außerhalb der Wohnung" im Stiegenhaus gewartet - ohne Sichtkontakt zur 26-Jährigen.
Das Opfer befindet sich am Weg der Besserung und wurde bereits vom LKH Graz nach Hause entlassen. Die Frau befinde sich aber "weiterhin in einem psychischen Ausnahmezustand, ist verängstigt und verunsichert". Sie brauche psychotherapeutische Hilfe, schilderte Prutsch.
Fehlverhalten der Beamten wird geprüft
Auf APA-Anfrage erklärte die Landespolizeidirektion Steiermark, dass der Fall sehr genau geprüft werde und die Erhebungen daher noch nicht abgeschlossen sind. Untersucht werde unter anderem, ob ein Fehlverhalten der Beamten vorliegt.
Beim strafrechtlichen Verfahren gegen den 36-jährigen Deutschen wird Prutsch das Opfer vertreten. Sie wolle einen Schmerzensgeldanspruch in der Höhe von 25.000 Euro geltend machen.
(APA)