Der letzte Ton von Simon Stadlers Medley-Version des Udo Jürgens-Songs „Ich war noch niemals in New York“ und Frank Sinatras „New York, New York“, der durch das Grazer Orpheum hallt, wird von rutschenden Stühlen und tosendem Applaus abgelöst. Keine der mehr als 700 Leserinnen und Leser Kleinen Zeitung, die an dem Abend zu Ehren des 10. Todestages des Kärntner Ausnahmekünstlers im Saal Platz fanden, hielt es mehr auf den Sitzen. Angemeldet hatten sich mehr als 2000. Bei weitem nicht die einzige Standing Ovation, die Sänger und Pianist Simon Stadler, der Saxofonist Edgar Unterkirchner und Harfinistin Hannah Senfter an diesem Abend bekamen. „Man kann Udo nicht ersetzen, dass sie unsere Interpretation annehmen, ist das größte Geschenk. Wir versuchen unser Bestes, seinen Texten gerecht zu werden“, kann Stadler seine Gefühle kaum in Worte fassen.
Gemeinsam mit Udo Jürgens‘ Bruder Manfred Bockelmann nahmen die Musiker das Publikum zweieinhalb Stunden mit auf eine Zeitreise durch das Leben eines der bekanntesten Musiker Österreichs, der 2014 während einer Tourpause mit 80 Jahren verstarb. Kleine Zeitung-Chefredaktionsmitglied Carina Kerschbaumer führte als Moderatorin durch den Abend und tauchte mit Bockelmann in die Höhen und Tiefen des Lebens eines Ausnahmetalentes ein.
„Udo war wirklich ein Wunderkind“, so Bockelmann, und teilt eine Anekdote aus einer Zeit, bevor er selbst überhaupt geboren wurde. „Mein Vater war ein großer Fan der Oper ‚Madama Butterfly‘, an Weihnachten hat sich die Familie deshalb vor dem Rundfunkgerät zusammengesetzt und sich die Oper angehört. Kurze Zeit später hat mein Vater aus dem Kinderzimmer die Melodie seiner Lieblingsarie spielen gehört – Udo hat sie sich auf der Quetschen, der Ziehharmonika, die er zu Weihnachten bekommen hat, selbst beigebracht. Damals war er fünf. Da wusste mein Vater, das muss man fördern.“
Mein Bruder, der Maler
„Aber bitte mit Sahne“, „Die Sonne und Du“, „Griechischer Wein“ – Udo Jürgens Lieder und seine Texte formten die deutschsprachige Musikwelt über Jahrzehnte. Eine viel intimere Bedeutung hätten für Bockelmann allerdings nicht jene Lieder, die über die Grenzen hinaus Bekanntheit erlangten. „Die Lieder, die seine phänomenale, musikalische Bandbreite zeigten, waren jene, die zwischen seinen Hits fast in Vergessenheit geraten sind.“ Zwei davon stimmte auch Stadler an, der den Raum mit seiner Stimme füllte: „Sänger in Ketten“ und „5 Minuten vor 12“. Letzteres zeige die Zeitlosigkeit seiner Musik, wie Kerschbaumer sagt. „Ein Lied, dessen Text auch heute geschrieben werden hätte können.“
Ein Lied, das Stadler, Unterkirchner und Senfter an diesem Abend nur instrumental anstimmen, ist „Mein Bruder ist ein Maler“, ein Lied, das Jürgens seinem Bruder widmete. „Das kann nur Udo für ihn spielen.“ Bereits in jungen Jahren hatten sich die beiden Brüder immer wieder zusammengesetzt, um Erfahrungen zu teilen, meist auf dem elterlichen Hof, auf dem Bockelmann heute noch lebt, später häufig auch auf Reisen. „Wir sind beide auf unsere Art Künstler, irgendwann hat er mir verraten, dass er auch gerne Kunst hätte, die man auch angreifen kann.“
Udo Jürgens‘ Musik vereint
Eine Überraschung für Bockelmann, wie er verrät. „Er hat Leute, die ihm applaudieren, die bei seiner Musik weinen, so etwas passiert mir nie, habe ich ihm gesagt. Wir waren immer Blödler, ich habe gescherzt, dass sein Portmonee auch immer voll ist und meines immer leer“, schmunzelt Bockelmann. Zu Weihnachten nach dem Gespräch hätte Jürgens ihm schließlich das Lied geschenkt. Bockelmann und Jürgens verband eine enge Beziehung, der jüngere Bruder begleitete den Musiker oft auf Reisen, fotografierte ihn an Orten, an denen ihn niemand kannte. „Er war immer ein liebenswerter Typ, er konnte sich über ein Schinkenbrot genauso freuen wie über Kaviar. Seine Musik hat Menschen verbunden.“
So auch einen Vater und einen Sohn, die sich entfremdet hatten. „Er hat die beiden unabhängig voneinander zu einem Konzert eingeladen und ihnen ,Gekaufter Drachen‘ gewidmet“, so Bockelmann. „Das hat ihnen geholfen, wieder zueinander zu finden. Das war Udos Gabe.“
Ständchen zum Geburtstag
Obwohl Bockelmann in der Kunst Erfüllung fand, war sein Bruder auch Inspiration. „In unserem Haushalt hat sich durch Udo niemand mehr getraut, Klavier zu spielen, ich habe immer heimlich geklimpert, wenn niemand zu Hause war“, erzählt er lachend. „Technik habe ich keine, man darf mich also nie fragen, etwas zu wiederholen.“ Umso überraschender kam es aus diesem Grund für das Publikum, dass Stadler sein Klavier kurz an Bockelmann übergab und gemeinsam mit Unterkirchner eine improvisierte Melodie anstimmte, eine Hommage an Jürgens Anfänge und seine Liebe zum Jazz.
So leicht gehen lassen wollte das Publikum Bockelmann und die Musiker allerdings nicht, unter Zugabe-Rufen stimmte Stadler deshalb noch „Ist das nichts?“ an. Am Ende wurde er nicht nur mit Standing Ovations, sondern auch mit einem Ständchen zu seinem Geburtstag belohnt.
Die Begeisterung über den Abend war dem Publikum beim Verlassen des Saals anzusehen. „Unvergesslich, persönlich und herzergreifend“, fasste es Regina Paszicsnyek zusammen. „Es war großartig, Manfred Bockelmann war richtig schlagfertig und witzig“, resümierten Roswitha Maitz und Silvia Taucher. Besonders stolz war Stadlers Mutter, die ebenfalls im Publikum saß: „Das war ein schöner Geburtstag für ihn.“