Still, ganz still. So viele Menschen und keiner spricht in der einsetzenden Dämmerung am Markt Hartmannsdorfer Friedhof. Zu ihren Füßen flackert ein rotes, gelbes, weißes Lichtermeer. So viele sind gekommen, um Brigitte Karner bei ihrem „Spaziergang über den Friedhof“ zu begleiten. Klagend setzt das Akkordeon ein, umarmt die Stille, vertreibt sie nicht. Manch einer öffnet erst wieder die Augen, als Karners Stimme erklingt. Über die Stille spricht sie, vom Kommen, vom Werden, vom Gehen und Vergehen.

Die Witwe von Peter Simonischek, der hier begraben liegt, wäre kaum auszumachen unter den vielen Menschen, würden nicht die Augen aller auf sie gerichtet sein: dunkler Mantel, dunkle Stiefel, das weiße Haar und das Gesicht nur erleuchtet vom Widerschein des Tablets, von dem sie abliest: Texte von Alois Hergouth, Marie-Luise Kaschnitz und Ernesto Cardenal. Auf Einladung von Werner Sonnleitner, dem Leiter von KulturMarkt Hartmannsdorf, gestaltet Karner diesen besinnlichen Friedhofsspaziergang am Allerseelentag.

Simonischek starb vor eineinhalb Jahren

Waren zu Allerheiligen auch so viele Menschen auf diesem Friedhof, der an drei Seiten von einem dichten Laubwald umgeben ist und sich funkelnd an den Hügel schmiegt? Die Worte verklingen, die Klänge des Akkordeons leiten die Sprecherin von Ost nach West, von Nord nach Süd durch den Friedhof. Inmitten der stillen Menge, der flackernden Lichter, bleibt sie immer wieder stehen, spricht über das Sein und das Vergehen. Manchmal schleicht sich der Akkordeongesang unter diese Worte, umspielt sie wie ein frisch Verliebter und verstummt. Wo der Autor dieser Klänge, der Musiker und Lehrer Bernd Kohlhofer, steckt, kann man in der Dunkelheit schon nicht mehr ausmachen. Wo auch immer er ist, seinem Spiel kann sich keiner entziehen.

Brigitte Karner teilte auch ihre Lieblingsgedichte
Brigitte Karner teilte auch ihre Lieblingsgedichte © Karin Scherf-Kachelmaier

Wie es der Witwe heute geht, eineinhalb Jahre nach dem Sterben ihres geliebten Gefährten? Am Nachmittag hat sie in Markt Hartmannsdorf, dem Heimatort von Peter Simonischek, ihr gerade erschienenes Buch „Mein Leben ohne ihn“ präsentiert. „Hier, während des Friedhofsspazierganges, habe ich mich die ganze Zeit gefragt, wie es ihm gefallen würde“, wird sie später erzählen. „Ich habe ihm die Ehre geben wollen und war ganz der Profi dabei – auch, wenn es emotional anstrengend war“, erzählt die Schauspielerin. Peter Simonischek starb am 29. Mai 2023.

„Dem Peter hätte es gefallen“

Ihre letzte Station führt zu Simonischeks letzter Ruhestätte. Auch hier leuchten unzählige Kerzen. Bei weitem nicht alle stammen von seiner Familie. „So viele Leute kommen ans Grab“, wird Karner erzählen, „schon von Anfang an. Die Leute haben mich gedrängt, das Grab fertigzumachen, den Grabstein daraufzusetzen. Wir konnten nicht warten, dass sich die Erde setzt. Die Leute sind mich angegangen, wie das aussehe“, sagt Karner. Inzwischen hat sich die Erde gesetzt, nicht jeder Stein sitzt dort, wo er sein sollte. „Das werde ich eben jetzt wieder richten müssen“, sagt sie.

Am Grab ihres Peters liest sie das gemeinsame Lieblingsgedicht, verfasst vom Nicaraguaner Ernesto Cardenal: „Von den Sternen stammen wir, zu ihnen kehren wir zurück,…“. Dann erlischt das Licht am Tablet, Karner dreht sich um, ist allein. Bleibt in der Stille stehen. Erst als sie sich zum Gehen aufmacht, ist der Bann gebrochen. Sie wird umarmt, geherzt, so viele Menschen bedanken sich bei ihr. Jetzt hat auch das Publikum seine Stimme wiedergefunden, jetzt darf getratscht, begrüßt, bedankt werden. Ob Peter Simonischek diesen Abend genossen hätte? „Ich glaube schon, dass es ihm gefallen hat“, sagt Brigitte Karner. Und dann lächelt sie zum ersten Mal an diesem Abend.