Die zeitgenössischen Pressestimmen klangen einigermaßen erstaunt. Eine Frau könne komponieren, und dazu noch große Orchesterwerke? Die allgemeine Verwunderung über Orchesterwerke, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankreich und Deutschland aus weiblicher Feder entsprangen, war gepaart mit durchaus positiver Resonanz. Dennoch warten Komponistinnen noch heute darauf, gleichberechtigt mit ihren männlichen Kollegen auf den Spielplänen der Konzerthäuser aufgeführt zu werden. Eine internationale Konferenz an der Kunstuni Graz nimmt sich diesem Ungleichgewicht an.

Orchestriert wird das Ganze von Nicole K. Strohmann in Zusammenarbeit mit Christa Brüstle (KUG) und Markus Neuwirth (Bruckneruniversität Linz). Strohmann hat Österreichs einzige Professur für historische Musikwissenschaft und Genderforschung inne. Ihr Antrieb ist es, Komponistinnen sichtbar zu machen, die in der Forschung weniger Beachtung finden und vor allem dem Publikum nicht geläufig sind. Zum Beispiel die französische Komponistin Augusta Holmès (1847-1903). „Sie hat mehrere Opern und Orchesterwerke verfasst, darunter ein großer Kompositionsauftrag zum 100-jährigen Jubiläum der Französischen Revolution. Diese ,Ode Triomphale‘ wurde mit 300 Orchestermusikern und 900 kostümierten Choristen szenisch aufgeführt“, sagt Strohmann, die ihre Dissertation über Holmès verfasste.

Dafür lebte die Forscherin drei Jahre in Frankreich und durchforstete dort umfangreiches historisches Quellenmaterial. Das ergab interessante Aufschlüsse über die Widrigkeiten, mit denen Komponistinnen zu kämpfen hatten: „Damals wurden Frauen nicht für fähig gehalten, einen kreativen Akt zu vollziehen. Die Komponistinnen mussten soziale wie professionelle Normen überwinden, um überhaupt zu öffentlicher Wahrnehmung zu gelangen.“

Holmès etwa habe sich bewusst dafür entschieden, unverheiratet zu bleiben, um nicht von einem Mann abhängig zu sein und als eigenständige Berufskomponistin ernst genommen zu werden. Damit öffnete sie Türen in einer äußerst konservativen Gesellschaft. Andere sollten ihr bald folgen: „Jüngere Komponistinnen begannen, ihr nachzueifern, Holmès hat vielen den Weg geebnet. Ihre Werke wurden von den großen Musikverlagen gedruckt, doch dieses Privileg wurde nur wenigen Komponistinnen des 19. Jahrhunderts zuteil“, sagt Strohmann.

Die Musikwissenschaftlerin bemüht sich darum, dieses Versäumnis auszubügeln, und setzt Initiativen, damit die historischen Manuskripte aus Frauenhand für moderne Orchester aufbereitet und spielbar werden. Ein erster Erfolg war die Aufführung von Holmès‘ 4-aktigem Bühnenwerk „La Montagne noire“, das Anfang dieses Jahres an der Oper Dortmund aufgeführt wurde. Damit in Zukunft noch mehr vergessene, aber auch zeitgenössische Komponistinnen zur Aufführung gelangen, müssen laut Strohmann Dirigenten, Orchester und Institutionen verstärkt auf den schlummernden musikalischen Schatz aufmerksam gemacht werden. Das Argument, es gäbe keine Noten, lässt Strohmann nicht gelten. „Sicherlich sind Werke jenseits des Kanons für die Häuser nach wie vor ein finanzielles Risiko. Aber im 21. Jahrhundert muss das drin sein. Wenn es die Orchester wagen, werden sie mit tollem Zuspruch belohnt.“

Nicole K. Strohmann, Kunstuni Graz