Die Zentrifugalkräfte sind nicht ohne, die auf das Material von Autoreifen wirken: Bei Geschwindigkeiten jenseits der 130 km/h braucht es starken Zusammenhalt, damit sich der Reifen nicht unter der hohen Belastung der Drehung in seine Bestandteile auflöst. Der Trick dabei wird von der Chemie beigesteuert: Haftvermittler, die dafür sorgen, dass sich der Reifengummi auch bei hohen Geschwindigkeiten nicht vom Stahlgürtel im Inneren des Autoreifens verabschiedet.
Alle großen Reifenhersteller setzen auf diese chemischen Zusatzstoffe, beliefert werden sie unter anderem von Werndorf aus:. Dort befindet sich der Forschungs- und Produktionsstandort des Beschichtungsherstellers Allnex Austria. Die steirische Tochterfirma des deutschen Allnex-Konzerns mit rund 4000 Mitarbeitern wurde vor 75 Jahren gegründet und machte sich mit wasserlöslichen Kunstharzen und Beschichtungen einen Namen. Heute forscht sie verstärkt an chemischen Zusatzstoffen vulgo Additiven.
„Wir möchten unseren Horizont über Beschichtungen und Lacke hinaus erweitern, und gehen daher in neue Märkte“, sagt Bernhard Hirschmann, der seit Anfang 2022 bei Allnex die globale Geschäftsentwicklung für Additive leitet. Er sieht in Autoreifen einen vielversprechenden neuen Markt, in vielerlei Hinsicht. Nicht nur mischt Allnex bei den Haftvermittlern mit, die einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit liefern, sondern auch beim Recycling von Reifen.
2,5 Milliarden Reifen werden jedes Jahr weltweit hergestellt, der Materialaufwand dafür ist enorm. Zwar kommen auch gebrauchte Reifen zum Einsatz, ihr Anteil ist aber überschaubar. „Um alte Reifen wiederzuverwerten, müssen sie zuerst zu einem Mikropulver geschreddert werden. Man kann aber nur wenig davon für neue Reifen einsetzen, sonst leidet die Qualität darunter“, sagt Hirschmann. Die Forschungsabteilung bei Allnex arbeitet daran, mit speziellen Zusatzstoffen chemische „Brücken“ zwischen dem alten Material und dem neuen zu schaffen, damit sie besser aneinander haften.
Bislang beläuft sich die Recycling-Quote in der Reifenherstellung im einstelligen Prozentbereich. Mit der Allnex-Technologie soll es ein Plus von gut zehn Prozent geben, angesichts der Mengen, die weltweit produziert werden, keine Kleinigkeit.
Die Additive aus Werndorf könnten auch dazu eingesetzt werden, um den Reifenabrieb zu verringern. Gerade in der Elektromobilität ist das ein Thema, durch das hohe Drehmoment des Elektromotors werden Reifen stärker beansprucht als bei fossilen Antrieben. „Hier experimentieren wir mit einem Füllstoff aus Silizium, der chemische Verankerungen erzeugt, mit dem der Reifenabrieb reduziert wird. Und das bei gleichzeitig guter Nasshaftung und praktikablem Rollwiderstand“, sagt Hirschmann.
Wie groß die Reduktion beim Abrieb ausfallen könnte, ist noch offen. Sicher sagen hingegen lässt sich, dass auch die Herstellung der Zusatzstoffe bei Allnex zunehmend nachhaltiger wird: Geforscht wird auch daran, die Additive aus nachwachsenden Rohstoffen zu gewinnen. Vielversprechende Kandidaten sind da etwa Sonnenblumenöl und Leinöl.