Die Neurochirurgie des LKH Uniklinikums Graz steht abermals im Mittelpunkt einer Affäre, die viele Fragen offen lässt. Der Skandal um die angebliche OP-Beteiligung einer 13-Jährigen war offenbar erst der Beginn einer Serie von Schlagzeilen.

Doch nun steht eine neue Affäre im Scheinwerferlicht, die weite Kreise bis in die Führungsebene der Neurochirurgie zieht. Ärztinnen und Ärzte in Ausbildung brachten den Fall ins Rollen. Alle Details liegen der Kleinen Zeitung vor, sie stehen in einem Protokoll der Meduni-Ombudsstelle für „Gute wissenschaftliche Praxis“. Der Vermerk auf dem Papier: „Streng Vertraulich“. Das Protokoll datiert vom 2. 7. 2024, das Gespräch dazu fand im Med Campus, Turm Q statt.

Es geht um aufklärungsbedürftige Eingriffe am Kopf mit intraoperativen MR-Untersuchungen im Rahmen einer Studie an der Neurochirurgie. Weiters heißt es der für die Studie verantwortliche Mediziner „reagiert zT aggressiv, wenn er auf die Vorgehensweise angesprochen wird“.

Kein Ethikantrag für „zusätzliche Löcher“ im Schädel

Für die Studie hätte es keinen Ethikantrag gegeben, der dafür eigentlich notwendig sei, wird in dem Protokoll angeführt. Und dann der Satz: „Es gibt auch keinen Informed Consent, und die betroffenen Patient*innen wissen daher nicht, dass gemessen wird und dass zusätzliche Löcher in den Schädel gebohrt werden“.

Das Urteil der Ombudsstelle vom 2. Juli 2024 fällt dementsprechend vernichtend aus: Man „informiert weiters, dass die beschriebene Vorgehensweise nicht regelkonform wäre und einen Verstoß gegen die Gute klinische Praxis (GCP) und die Declaration of Helsinki darstelle.“ Diese Deklaration sichert und beschreibt auch die Patientenrechte.

Ein vernichtendes Urteil der Ombudsstelle, damit wäre die Sache wohl erledigt gewesen. Samt Konsequenzen. Aber etwas mehr als zwei Monate später wendet sich das Blatt.

Plötzlich doch alles regelkonform?

Ausgerechnet dieselbe wissenschaftliche Schlüsselperson in der Ombudsstelle, die gerade noch scharfe Kritik geübt hatte, revidierte nämlich ihre Meinung. Laut offizieller Meduni-Auskunft sei nun doch alles „regelkonform“ gewesen.

Kurios, was dann folgte: Die gewonnenen Daten wurden trotzdem als Studie bei einer Neurochirurgie-Jahrestagung Ende September veröffentlicht, also gezielt als Studie deklariert. Mit Patientenfoto, mehreren Fällen und immer noch ohne, dass die Patienten über eine Studie informiert gewesen wären – was bei einer Studie Pflicht gewesen wäre.

Interner Konflikt an der Abteilung, anonyme Anzeigen

Das brachte an der Abteilung das Fass zum Überlaufen. Zuviel hatte sich aufgestaut. Der Skandal um die 13-Jährige, weitere interne Vorwürfe gegen einen Mediziner aufgrund einer invasiven OP-Technik, die nicht regelkonform angewandt worden sei und interne Querelen, ja, sogar Mobbingvorwürfe stehen im Raum. Insider berichten von einem internen Konflikt an der Abteilung, anonymen Anzeigen, Drohungen, sowie einem Machtkampf einer Ärzte-Gruppe gegen einen leitenden Mediziner. Der Streit um die Studie sei ein Symptom, aber letztlich nicht die Ursache des schwelenden Konflikts innerhalb der Abteilung.

Ein umfangreicher Fragenkatalog der Kleinen Zeitung an die Meduni Graz sollte Licht ins Dunkel dieses Falls bringen.

Die Antworten der Meduni Graz

Die Antworten der Meduni Graz zu den ganzen Vorgängen um die Studie wiederum lassen einige Ärztinnen und Ärzte der Neurochirurgie irritiert zurück, die die Vorgänge um die angebliche Studie scharf kritisieren. „Dezidiert möchten wir festhalten, dass es sich bei der von Ihnen angesprochenen Präsentation definitiv um keine wissenschaftliche Studie handelt. Daher sind für diese auch keine Genehmigung der Ethikkommission und Einwilligung der Patient*innen erforderlich. Es konnten keine Verstöße gegen die gute wissenschaftliche Praxis festgestellt werden “, heißt es in der Antwort der Meduni Graz. Patienten seien alle umfassend aufgeklärt worden.

Aber dann kommt es: „Fälschlicherweise wurde diese Präsentation bei der Jahrestagung der Gesellschaft für Neurochirurgie leider in einem Poster als Studie bezeichnet. Vielmehr wurde eine begleitende Dokumentation von qualitätssichernden Maßnahmen vorgestellt.“

Doch keine Studie und ein „Fehler“

Die Meduni Graz musste aber den Studien-Alleingang des verantwortlichen Arztes, der im Mittelpunkt des internen Konflikts steht, einfangen, sonst wäre man aufgrund von Verletzungen der Patientenrechte am Pranger gestanden. Es wird inzwischen aber seitens der Meduni als „Fehler“ eingestanden, dass die Arbeit als Studie veröffentlicht worden ist. Experten halten übrigens eine als „fälschlicherweise“ veröffentlichte Studie für „unmöglich“. Denn: Zuerst werde eine Studie bei Kongress-Verantwortlichen eingereicht, die diese Arbeit/Studie dann auch für den Kongress zulassen. Eine Studie ist dann eine Studie, mit allen Konsequenzen.

Forschungsgelder von der Firma, oder kein Mittelfluss?

Genauso unklar sind die Aussagen über Zahlungen der Medizintechnikfirma an die Meduni im Zusammenhang mit der Arbeit/Studie an der Neurochirurgie. Die Meduni sagt: „In aller Deutlichkeit weisen wir zurück, dass es in diesem Zusammenhang einen Mittelfluss zwischen der Medizintechnikfirma und der Medizinischen Universität Graz gibt oder gegeben hat.“ Damit hat die Meduni Graz aber eine völlig andere Perspektive als im hauseigenen, „streng vertraulichen“ Protokoll der „Ombudsstelle für gute, wissenschaftliche Praxis“ nachzulesen ist. Man „informiert, dass die Klinik Forschungsgelder von der Firma erhält, für die Fragestellungen zur Messgenauigkeit relevant sind“.

Welche Konsequenzen jetzt gezogen werden? „Wir schauen nicht zu“, erklärt man seitens der Meduni. Es soll eine Reihe von (Kommunikations)-Maßnahmen geben, um die Mannschaft wieder zu einen und gemeinsam auf Kurs zu bringen - im Sinne des Patientenwohls.