Sie fliegen durch die Luft, bleiben beim Radfahren an Kleidung hängen und nisten sich auf der Unterseite der Blätter von Bäumen ein und sorgen dafür, dass sich diese braun verfärben und abfallen. Bei dem winzigen geflügelten Tier handelt es sich um die Eichennetzwanze, die ursprünglich aus Nordamerika stammt, wie Biologe Thomas Frieß vom Ökoteam weiß. „Schon vor 20 Jahren wurde die Wanzenart in die Schweiz eingeschleppt, dort hat sie sich zehn bis 15 Jahre gehalten.“ Binnen kürzester Zeit begann das Tier sich dann allerdings plötzlich massiv auszubreiten, über Norditalien fand die Wanze ihren Weg bis in die Steiermark. „Den ersten Fund gab es in der südlichen Steiermark 2019“, so der Biologe.
In den letzten zwei Jahren explodierte die Population der Tiere, die sich, wie ihr Name verrät, am liebsten auf Eichen niederlassen, in der Steiermark. Milliarden an der Zahl werden durch Wind übers Land befördert, mehrere hundert Kilometer im Jahr können die Tiere so zurücklegen. Auch auf Obstbäumen lassen sich die Tiere nieder. „Die Eichennetzwanze hat zwar Flügel, ist aber kein guter Flieger. Sie wird deshalb Luftplankton genannt, weil sie durch die Luft weitergetragen werden.“ Inzwischen wurde die Wanze bereits auf 2000 Metern Seehöhe entdeckt, weit entfernt von Eichenbestand. „Die Wanzen können sich stark reproduzieren, weil es hier bislang noch keine Räuber oder Parasiten gibt, die die Vermehrung eindämmen“, weiß Frieß, es könne noch einige Jahre dauern, bis sich das Ökosystem an das Vorkommen der Tiere angepasst hat.
Kein Grund zur Panik
Sind die heimischen Eichen deshalb gefährdet? Aus Frieß Sicht seien die Auswirkungen noch schwer einzuschätzen, allerdings habe es bereits einmal einen ähnlichen Fall mit einer anderen Wanzenart gegeben. „Die Platanennetzwanze ist ein naher Verwandter, der auch vor 30 bis 40 Jahren eingeschleppt wurde. Früher hat man oft versucht, die Tiere mit Gift zu bekämpfen, allerdings war die Schädigung der Bäume höher als durch die Wanzen selbst.“ Im Moment sei die heimische Waldgesundheit durch die Tiere noch nicht eingeschränkt, in Norditalien seien allerdings bereits Einbußen im Bestand zu beklagen, sagt Frieß. „Die Bäume betreiben bei einem starken Befall weniger Photosynthese und wachsen deshalb schlechter. Forstwirtschaftlich führt das natürlich zu Verlusten.“
Hierzulande wird die Eiche als Zukunftsbaum gehandelt, denn durch den Klimawandel würden Buchen zunehmend ausfallen, auch Fichten sei es laut Frieß bei steigenden Temperaturen zu warm. Für die Zukunft gebe es aus diesem Grund noch einige unbeantwortete Fragen, Frieß sieht allerdings keinen Grund zur Panik. „Eher gilt es, abzuwarten, denn es besteht die Hoffnung, dass die Tiere gar keinen so großen Schaden auf den Waldbestand haben werden.“ Die effizienteste Maßnahme sieht Frieß im Erhalt und der Kultivierung von Mischwäldern. „Befinden sich mehrere Baumarten in einem Bestand, kann ein flächendeckender Befall am ehesten abgefangen werden.“
Harmlos für den Menschen
Zudem habe sich das heimische Ökosystem auch im Falle der Platanennetzwanze auf die Tiere eingestellt, in zehn Jahren könnte dies auch bei der Eichennetzwanze soweit sein. Das Tier ist außerdem grundsätzlich harmlos für den Menschen. „Sie können nicht durch die Haut beißen und sind auch keine Material- oder Vorratsschädlinge. Aus biologischer Sicht sind die Tiere unter der Lupe sogar sehr faszinierend anzusehen“, so Frieß. Eingeschleppte Insekten wie die marmorierte Baumwanze aus Asien und die grüne Reiswanze aus dem Mittelmeerraum seien um ein Vielfaches gefährlicher für den heimischen Baumbestand, weiß der Biologe. „Vor allem die Reiswanze richtet im Obstbau großen Schaden an und wird zunehmend zum Problem. Sie vermehrt sich zum Glück nicht so explosionsartig wie die Eichennetzwanze.“