In der Grazer Innenstadt herrschte Freitagmittag beschauliches Treiben, als plötzlich ein immer größer werdendes Polizeiaufgebot die Szenerie beherrschte. Schwer bewaffnete Polizisten riegelten die Flaniermeilen zwischen Herrengasse und Marburgerkai ab, ein Hubschrauber kreiste über den Dächern, Straßenbahnen standen still, Cobra-Beamte sicherten die Straßenzüge. Nicht wenige wurden angesichts dieser Bilder an die Amokfahrt vor neun Jahren erinnert – doch der Hintergrund für den Polizeieinsatz war eine Bluttat, die zwei junge Menschen das Leben kostete.
Ein 29-jähriger Mann hatte in den Räumen einer Anwaltskanzlei in der Kaiserfeldgasse eine 23 Jahre alte Mitarbeiterin erschossen. Das Motiv des Täters, der laut dem Staatsanwaltschaftssprecher in Österreich geboren wurde und bosnische Wurzel hat, liegt noch völlig im Dunkeln. Bei der sichergestellten Tatwaffe handelt es sich um eine Langwaffe, also ein Gewehr der Kategorie C (Büchsen und Flinten). Der Täter soll sie erst drei Tage vor der Bluttat legal erworben haben. Der Erwerb solcher Waffen ist grundsätzlich ab 18 Jahren möglich. Seit 1. Oktober 2012 besteht allerdings die Pflicht zur Registrierung im Zentralen Waffenregister (ZWR) bei einem Waffenfachhändler binnen sechs Wochen ab dem Erwerb.
In dem mehrstöckigen Gründerzeitgebäude mit Innenhof in der Kaiserfeldgasse 27 haben mehrere Anwalts- und Notariatskanzleien ihre repräsentativen Büros. In einem davon arbeitet Florentine Zankel, die kurz vor Mittag von den Schüssen aufgeschreckt wurde. „Ich habe dreimal einen Klescher gehört und dann eine Frau, die schreit. Wir haben uns dann eingeschlossen und den Notruf abgesetzt“, erzählte Zankel der Kleinen Zeitung. Außerdem habe sie mitbekommen, dass jemand nach unten rennt. Wie die Polizei rekonstruierte, betrat der 29-jährige Verdächtige aus Graz um 11.35 Uhr mit einem Gewehr in der Hand die Kanzlei im vierten Stock.
Großeinsatz der Polizei
Was sich danach genau abspielte, versucht die Polizei anhand von Augenzeugen zu rekonstruieren. Denn eine weitere Kollegin musste die dramatischen Szenen mitansehen. Der Mann feuerte mehrmals und wohl aus nächster Nähe auf die 23-Jährige, die erst seit zwei Jahren als Assistentin in der Kanzlei beschäftigt war. Die junge Frau brach tödlich getroffen zusammen. Kurz danach richtete der 29-Jährige die Waffe gegen sich selbst und drückte ab. Auch er dürfte sofort tot gewesen sein.
Für die Polizei war die Lage aber noch einige Zeit unklar. Eine weitere Person aus der betroffenen Kanzlei war nach den Schüssen in Panik auf das Dach des Gebäudes geflüchtet. Zeugen hielten die Person wohl für den Täter und meldeten ihre Wahrnehmung der Polizei. Da diese zunächst nicht ausschließen konnte, dass sich der Schütze noch in der Umgebung aufhält, wurden die umfangreichen Absperrungsmaßnahmen veranlasst. Erst als die Rettungskräfte auf die beiden Toten im Büro stießen und sich der Sachverhalt allmählich klärte, wurden gegen 13 Uhr die Straßensperren wieder aufgehoben. Am frühen Nachmittag war noch die Tatortgruppe der Polizei beim Spurensichern in der Kanzlei. Auch ein Kriseninterventionsteam des Landes Steiermark war vor Ort, verließ das Gebäude allerdings nach kurzer Zeit wieder.
Täter arbeitete selbst in Anwaltskanzlei
Mit einem ersten mündlichen Obduktionsgutachten ist wahrscheinlich Anfang nächster Woche zu rechnen. Das Motiv der Tat, die Hintergründe, der genaue Tathergang - unter anderem die Anzahl der abgegebenen Schüsse und die Beziehung zwischen Täter und Opfer seien noch Gegenstand der Ermittlungen.
Der 29-Jährige war bisher polizeilich unauffällig gewesen. Wie die Kleine Zeitung erfuhr, hatte der Mann kurze Zeit selbst in der Anwaltskanzlei gearbeitet, sein späteres Opfer soll ihn dorthin vermittelt haben. Das Arbeitsverhältnis wurde aber bald wieder einvernehmlich aufgelöst, es passte einfach nicht. Danach wandte sich der angeblich „blitzgescheite“ Mann der Technik zu. Warum er am Freitag plötzlich in die Kanzlei marschierte und eine Ex-Kollegin mit in den Tod nahm, bleibt ein Rätsel.