„Viel deutlicher kann die Natur eigentlich nicht mehr werden”, ein Blick auf den Schladminger Gletscher lässt Klaus Reingruber die Stirn runzeln. Seit 20 Jahren ist er Gletschermesser und für vier der uralten Eisfelder im Dachsteingebiet zuständig. Wo es vor fünf Jahren noch schneeweiß glänzte, durchbrechen jetzt dunkle Felsen das Eis. „Das ist natürlich eine Tragödie, aber das eigentliche Problem ist, dass immer noch zu wenig getan wird”, fasst er zusammen. Lange Sommer und überdurchschnittlich warme Temperaturen haben die heimischen Gletscher im vergangenen Jahr um durchschnittlich 24 Meter schrumpfen lassen. Klaus Reingruber hat noch miterlebt, wie der Schladminger und der Hallstätter Gletscher bis an die steirische Grenze reichten. Mit der Zeit hätten sie sich immer weiter nach Oberösterreich zurückgezogen.

Ehrenamtliche messen die Gletscher

Neben Klaus Reingruber gibt es rund zwei Dutzend weitere ehrenamtliche Gletschermesser des Österreichischen Alpenvereins. Am vergangenen Wochenende trafen sie sich zum diesjährigen Fachtreffen der Gletschermesser am Dachstein. Das Treffen dient dem Austausch untereinander. Denn auch wenn jeder schwindende Gletscher seine eigenen Bedürfnisse hat, der Temperaturanstieg betrifft alle.

Die Messungen werden von Ehrenamtlichen durchgeführt
Die Messungen werden von Ehrenamtlichen durchgeführt © ÖAV / Neuner-Knabl

„Für jemanden, der zum ersten Mal hier ist, ist das natürlich trotzdem sehr imposant”, weiß Nicole Slupetzky. Die Vizepräsidentin des ÖAV ist quasi am Gletscher aufgewachsen. Ihr Vater, ebenfalls Gletschermesser, nahm sie schon im Alter von wenigen Monaten mit auf den Berg. „Als Kind habe ich das Schmelzwasser einmal Gletscherblut genannt. Erst heute weiß ich, wie richtig ich damals lag”, erinnert sich Slupetzky. Für sie sind die Gletscher wie alte Bekannte. Zu sehen, wie sie Jahr für Jahr weiter verschwinden, stimmt die Salzburgerin traurig. Sie nimmt es als Warnsignal: „Der Klimawandel wird in erster Linie den Menschen treffen“, sagt Slupetzky, „wir müssen hier auch unseren eigenen Arsch retten!“

Nicole Slupetzky ist traurig über die Entwicklung
Nicole Slupetzky ist traurig über die Entwicklung © ÖAV / Neuner-Knabl

Jährlicher Gletscherbericht

Gerhard Lieb ist da schon etwas abgebrühter. Traurigkeit löst der Gletscherschwund bei ihm nicht mehr aus. Dafür aber Neugier, wie sie sich unter den wärmeren Bedingungen verändern. Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Kellerer-Pirklbauer leitet er den Gletschermessdienst des Österreichischen Alpenvereins. Aus den gesammelten Daten der Gletschermesser über Höhe, Länge und Bewegung des Eises erstellen die beiden Professoren am Institut für Geographie und Raumforschung der Karl-Franzens-Universität Graz jährlich den Gletscherbericht. “Die erste Vermessung der heimischen Gletscher liegt bereits 130 Jahre zurück. Damals erwartete man noch einen Gletschervorstoß, den man dokumentieren wollte”, erzählt Lieb. Mittlerweile hat es seit den Achtzigerjahren österreichweit keinen Vorstoß mehr gegeben.

Kellerer-Pirklbauer selbst hat am größten Gletscher Österreichs mit -203 Metern den größten Rückzug registriert. Seit den fünfziger Jahren liegt die Zuständigkeit für die Bemessung der Pasterze in Graz. Grund dafür war, dass der damals zuständige Gletschermesser eine Professur an der Universität Graz annahm. Das Ehrenamt blieb seitdem an der Uni.

Eisriesen mit Ablaufdatum

Neben einem genauen Blick in die Vergangenheit der Gletscher erlauben die Daten auch Prognosen für die Zukunft. Ein Ablaufdatum der Eisriesen ist in Sicht. Kellerer-Pirklbauer stellt ernüchternd fest: „Wir rechnen damit, dass die österreichischen Gletscher zwischen 2060 und spätestens 2070 vollständig abgeschmolzen sein werden.