Ein Pkw und ein Anhänger hängen verkeilt über einem Zaun eineinhalb Meter über dem Boden, ein beißender fischig-schlammiger Geruch hängt in der Luft und reizt die Nase, doch das ist am Sonntagmorgen im Ortskern von Deutschfeistritz in Graz-Umgebung die geringste Sorge der Anwohner. Wenige Stunden zuvor verwandelte sich der Übelbach aufgrund der Regenmassen in einen reißenden Fluss, der auf seinem Weg durch das Tal alles in seinem Weg mitriss. „Unser Auto ist davongeschwommen, als wäre es aus Papier“, erzählt Noémi Petrovics. Sie steht vor ihrem zertrümmerten roten Pkw, ein Spiegel fehlt, die Motorhaube und die Scheibe sind eingedellt.

Ihr Auto wurde von den Fluten erfasst, in der engen Kirchberggasse eingeklemmt und dadurch zum Rettungsfloß für weitere Fahrzeuginsassen, die durch die Wassermassen in ihren Autos eingeschlossen wurden. Zwei Männer aus dem anliegenden Kebab-Lokal hatten den Menschen aus ihren Autos geholfen. „Wir haben dann eine Leiter hinuntergehalten und die Leute in unsere Wohnung gerettet“, erzählt Petrovics. „Gott sei Dank sind sie am Leben“, ist die Frau sichtlich aufgewühlt. Auf dem Parkplatz reiht sich ein zerstörtes Fahrzeug an das andere, Schlamm steht zentimeterhoch auf der Straße, seit den frühen Morgenstunden schaufeln Menschen das Material aus den Häusern. Darunter auch Georg Resch, der einem Freund zu Hilfe eilte, dessen Büro zwei Meter unter Wasser stand. „Es ist unfassbar, daran zu denken, dass er gestern noch hier gesessen ist“, so der Mann. An seinen Gummistiefeln, Händen und seiner Kleidung klebt getrockneter Schlamm, seine Bergschuhe sind bereits hinüber, wie er erzählt.

Noémi Petrovics zeigt Videos aus der Sturmnacht, dahinter ihr demolierter Pkw
Noémi Petrovics zeigt Videos aus der Sturmnacht, dahinter ihr demolierter Pkw © Jürgen Fuchs

Retten, was zu retten ist

Von den Büroräumlichkeiten ist nichts mehr übrig, die wie mit dem Lineal gezogene Linie aus Schlamm knapp unter der Zimmerdecke ist Zeuge dessen, was sich vor wenigen Stunden in Deutschfeistritz abspielte. Resch reißt den letzten Rest der Jalousien von der Decke, wirft sie auf der Straße neben einen Haufen zerstörter Akten. Inmitten der katastrophalen Zerstörung ist die Herzlichkeit und der Zusammenhalt, was die Leute antreibt. „Wir haben uns heute Früh alle sofort zusammengeschrieben, um mitanzupacken“, sagt Resch.

Hilfe von allen Seiten bekommt auch Daniel Spielhofer von der Markt-Mühle. Die Scheiben des Geschäftes des Müller- und Bäckermeisters fehlen, sie sind durch die Wassermassen zerborsten – Scherben bedecken den Asphalt. Auch die Lagerhalle ist betroffen, verstreutes Korn vermischt sich mit dem Schlamm. „Wir versuchen zu retten, was rettbar ist, zum Glück haben wir alles auf Paletten, sodass wir die Halle schnell ausräumen können, um den Schlamm zu beseitigen“, sagt Spielhofer. „Mir haben schon in der Früh ganz viele Kunden geschrieben, ob sie helfen können.“

„Hatte Angst, was uns erwartet“

Einige hundert Meter die Straße hinunter steht das Haus von Traude Hiden. Die Nacht hat die Deutschfeistritzerin in Graz verbracht, die Familie wurde evakuiert. „Bei den Eltern meines Schwiegersohns“, erzählt Hiden, sie hält ein Taschentuch in der Hand und kämpft mit den Tränen. 50 Zentimeter stand das Wasser in ihrem Keller, der Garten gleicht einer Müllhalde. „Die Flut hat den ganzen Dreck auf unser Grundstück geschwemmt. Ich hatte Angst, was uns erwartet, als wir heute Früh hergefahren sind.“ Jetzt steht die Familie vor einem Schlachtfeld. „Wir haben immer noch 20 Zentimeter Wasser im Keller und seit gestern auch keinen Strom mehr.“ Gegenüber ihres Hauses, im Sensenwerk, waren am Vorabend 160 Konzertgäste evakuiert worden, der Veranstaltungssaal gleicht am Sonntagmorgen einer Ruine, die gespenstische Stille ein Kontrast zu der Musik, die einen Abend zuvor hätte in den Räumlichkeiten erklingen sollen. Dort, wo Stuhlreihen standen, ist nur noch Schutt und Schlamm.

Aus dem Sensenwerk wurden am Samstag 160 Menschen evakuiert
Aus dem Sensenwerk wurden am Samstag 160 Menschen evakuiert © Jürgen Fuchs

Bangen musste Hiden auch um ihre Schwiegermutter, die aufgrund ihrer Demenz und schlechten Mobilität auf Hilfe angewiesen ist. „Wir waren gestern noch im Café im Ort, als es auf einmal hieß, wir müssen alle weg mit den Autos, es kommt was runter. Das dauert natürlich bei uns dann etwas länger, da hatte ich Angst. Wir sind dann nach Hause und haben meine Schwiegermutter hingelegt, zu dem Zeitpunkt hat es schon voll gehagelt. Wenig später hieß es, wir werden geholt, wir können nicht bleiben.“ Hidens Schwiegermutter wurde in einem Krankenhaus in Sicherheit gebracht, denn auch Pflegeheime der Umgebung wurden von den Wassermassen getroffen, der Rest der Familie flüchtete nach Graz. „Man fühlt sich so hilflos“, fasst sie die Situation zusammen.

Traude Hidens Garten wurde überflutet
Traude Hidens Garten wurde überflutet © Jürgen Fuchs

Hilflosigkeit

Hilflosigkeit verspürten in den bangen Stunden von Samstag auf Sonntag auch in zahlreichen Situationen die hunderten Einsatzkräfte, die auf eine schlaflose Nacht zurückblicken. Andreas Reiter, Kommandant der Deutschfeistritzer Wehr, nippt im Rüsthaus zwischen Lagebesprechungen und Krisensitzungen an einem Kaffee – der wievielte es ist? Er weiß es nicht. Hinter ihm werden Drohnenbilder ausgewertet, auch Harald Eitner, Leiter des Katastrophenschutzes Steiermark, ist da. „Wir haben mindestens 50 Personen über Seitenscheiben aus Autos gerettet, einige Leute sind durch Murenabgänge abgeschnitten in ihren Häusern, ihnen geht es aber gut.“

Die Nacht hat Spuren hinterlassen, Reiter seufzt tief. „Binnen kürzester Zeit war alles überschwemmt, ich habe auf dem Weg zwei Leute an einer Haltestelle im Ortskern aufgesammelt, die dort Schutz gesucht haben, dann gab es schon kein Weiterkommen mehr.“ Den Menschen auf den Autodächern der Kirchberggasse konnte er zu diesem Zeitpunkt nur noch durch Gesten helfen, Zurufe gingen im tosenden Rauschen des Übelbachs unter. Drei Stunden sei er an der Stelle „gefangen gewesen“.

Kommandant Andreas Reiter hatte eine schlaflose Nacht
Kommandant Andreas Reiter hatte eine schlaflose Nacht © Jürgen Fuchs

Wieder Regenfälle angekündigt

Abgeschnitten worden war auch der Silberberg, wie Rene Rieger, Kommandant der Übelbacher Wehr, erzählt. „Sieben Leute konnten evakuiert werden, elf andere haben sich auf der Großstübinger Seite zu einem Bauernhof hinauf gerettet, darunter auch einige Kräfte unserer Wehr.“ Sonntagmorgen wurden die Betroffenen ausgeflogen. Für die 45 Wehren, die im Einsatz waren, sei es „mordsgefährlich“ gewesen, so Rieger. „Deswegen haben wir auch die Angehörigen jener informiert, die am Silberberg eingeschlossen waren, um ihnen zu sagen, dass sie sicher sind. Unsere Leute hatten selber keinen Empfang.“

Landeshauptmann Christopher Drexler und sein Stellvertreter Anton Lang machen sich am Sonntagvormittag ebenfalls ein Bild von der Lage, die Blicke der Einsatzkräfte gehen bereits da wieder besorgt zum Himmel. „Die schlechte Nachricht ist, dass die Geosphere Austria wieder Regenfälle angekündigt hat“, so Eitner. Am Sonntagnachmittag soll ein eigener Meteorologe in der Landeswarnzentrale stationiert werden. „Diese 15 Minuten könnten schon etwas retten.“