Am Lendplatz in Graz herrscht reges Treiben, wie an jedem Samstag, wenn die Direktvermarkter ihre Ware über die Stände reichen. Dennoch herrscht eine angespannte Atmosphäre, vor dem Libro-Geschäft halten Menschen inne, manche versuchen für Einkäufe in das Geschäft zu kommen – an diesem Samstag erfolglos. Denn in der Nacht von Freitag auf Samstag wurde der Eingang des Ladens Schauplatz eines schlimmen Vorfalls. Nur noch einige Reste Asche und Ruß lassen das Geschehen erahnen, das sich in der Nacht hier ereignete. Passanten hatten kurz nach Mitternacht zunächst einen Brand im Eingang des Papierfachhandels bemerkt und entdeckten dabei in weiterer Folge, dass ein obdachloser Mann in Flammen stand, der dort sein Nachtlager aufgeschlagen haben dürfte.
Die Passanten alarmierten umgehend die Einsatzkräfte, der Mann, ein 52-Jähriger aus Ungarn, erlitt schwerste Brandverletzungen. Er wurde vom Rettungsdienst ins LKH Graz eingeliefert. Der Mann schwebt nach Auskunft der Ärzte in Lebensgefahr. „Sein Zustand ist kritisch“, informiert Polizeipressesprecher Fritz Grundnig.
Inzwischen wurde ein Verdächtiger festgenommen, wie die Polizei am Samstagabend mitteilte. Es handelt sich um einen 65-jährigen Mann aus der russischen Föderation, der ebenfalls dem Obdachlosenmilieu angehört. Der Mann gibt zwar zu, ein Feuer entzündet zu haben, um sich zu wärmen. Allerdings will er keine andere Person wahrgenommen haben. Bei ihm wurde auch keine brennbare Flüssigkeit sichergestellt, so die Polizei. Der angebliche Kanister, den Zeugen gesehen haben wollen, entpuppte sich als kleine Tasche. Bei einer näheren Untersuchung des Tatorts stellte sich heraus, dass entgegen erster Vermutungen keine brandbeschleunigende Flüssigkeit verwendet worden war.
Legte weiteres Feuer
Auf die Spur gekommen war man dem 65-Jährigen durch ein weiteres Feuer, das dieser am Sonntagmorgen auf dem Gehsteig unmittelbar vor der Polizeiinspektion Lend gemacht hatte. Ein Passant machte einen Polizisten darauf aufmerksam. Bei der Kontrolle des Mannes fiel auf, dass die Täterbeschreibung zum Brandgeschehen auf dem Lendplatz passte. Die Zeugen erkannten ihn dann bei einer Gegenüberstellung auch eindeutig wieder.
Der 65-Jährige, der sich illegal in Österreich aufhält, wurde über Anordnung der Staatsanwaltschaft in die Justizanstalt Graz-Jakomini eingeliefert.
„Er hat immer alles hergegeben“
Erik und René sitzen vor dem Geschäft auf einer Bank in der Sonne, der Angriff trifft sie hart, das 52-jährige Opfer haben sie gut gekannt. „Wir haben ihn jeden Tag gesehen“, sind die beiden erschüttert. Sieben Jahre kennt René den Mann bereits, wie er erzählt. „Er hat immer alles hergegeben, was er konnte, hat alles geteilt und Geld gesammelt“, sagt Erik. „Er ist wirklich ein total netter Mensch.“ Sie selbst haben erst am Vormittag erfahren, was dem 52-Jährigen widerfahren ist. „Ein Kumpel hat es mir vorher erzählt, das war ein Schock.“
Die Gruppe verweilt oft am Lendplatz, „weil man hier seine Ruhe hat und die Leute freundlich sind“, wie die beiden Männer erzählen. Doch seit obdachlose Menschen vom Bahnhof weggeschickt werden, sei das Klima rauer geworden. Nicht nur die Bekannten des Opfers sind betroffen, auch Passanten sprechen der Gruppe ihr Mitgefühl aus
Caritas bot Unterbringung an
Betroffen reagiert die Caritas Steiermark auf die vermeintliche Gewalttat. „Wir sind erschüttert und tief betroffen“, erklärte Caritas-Steiermark-Direktorin Nora Tödtling-Musenbichler in einer Aussendung.
Das Opfer von Graz sei in letzter Zeit regelmäßig über das Caritas-Kältetelefon betreut und versorgt worden. Man habe dem Mann eine Unterbringung in einer Notschlafstelle angeboten, das wurde jedoch vom Betroffenen nicht in Anspruch genommen. Am Vorabend der Tat wurde der Ungar noch gegen 22 Uhr nach einem Anruf beim Caritas-Kältetelefon besucht und versorgt.
Bürgermeisterin Elke Kahr (KPÖ) verurteilte die Tat, als man noch dachte, es handle sich um einen mutwilligen Anschlag. „Es gibt keine Worte, die man zu einer so unmenschlichen und grausamen Tat finden kann. Dieser Anschlag zeigt, wie verwundbar Menschen sind, die kein Dach über dem Kopf haben und im Freien übernachten.“ Es gebe in Graz „ein engmaschiges Netz zur Unterstützung von Obdachlosen“ und „eine ausreichende Zahl von Notschlafstellen“, so Kahr. Niemand sei gezwungen, im Freien zu übernachten.
VinziWerke: Genügend Betten frei
Amrita Böker, Koordinatorin der VinziWerke, sagt: „Obdachlosigkeit gehört zu den sichtbarsten Formen der Armut. Im Freien sind betroffene Personen schutzlos dem Wetter und auch Gefahren ausgesetzt. Wieso Menschen die Nacht im Freien verbringen, statt das breite Angebot der Wohnungslosenhilfe zu nutzen, kann viele unterschiedliche Gründe haben.“ Sowohl in den Notschlafstellen der Caritas Steiermark als auch bei den VinziWerken seien noch genügend Betten frei.