Nicht für alle ist die Weihnachtszeit gefüllt mit Lichtern, Geschenken und einem Fest umgeben von den Liebsten. Menschen hinter den Hörern von Krisentelefonen und Anlaufstellen für Beratung widmen sich das ganze Jahr über jenen Personen in der Gesellschaft, die sich in schwierigen und herausfordernden Lebenssituationen befinden, die Weihnachtszeit erleben sie allerdings um so intensiver. „Die Telefonate sind länger, weil die Leute rund um die Weihnachtszeit einen verstärkteren Redebedarf haben“, erzählt unter anderem Ulrike Walch vom Psychiatrischen Krisentelefon PsyNot, das im Dezember 2022 ins Leben gerufen wurde. 600 bis 700 Menschen wählen monatlich im Durchschnitt die Nummer, die Devise der Expertinnen und Experten am anderen Ende des Telefons: Die Betroffenen wollen primär einfach einmal nur ernst genommen und gehört werden. „Da geht es auch gar nicht darum, Lösungen vorzuschlagen, sondern den Menschen zu helfen, im Gespräch selbst herauszufinden, was sie gerade brauchen“, so Walch.
Ob Beziehungskrisen, Sucht, Krankheit oder finanzielle Probleme, die Liste der Gründe für Anrufe ist lang. „Wir bemerken aber, dass die Leute weniger scheu haben, ihre Sorgen und Probleme beim Namen zu nennen und sich trauen, sich Hilfe zu holen“, sagt die Expertin. Selbiges erlebt auch Daniela Bauer von der Telefonseelsorge der Katholischen Kirche Steiermark. „Deswegen sehe ich es nicht zwingend als ein negatives Zeichen, dass sich immer mehr Menschen an Krisentelefone wenden, denn es zeigt, dass Menschen sich mehr damit auseinandersetzen, was sie belastet.“ Sich nicht davor zu fürchten, Dinge beim Namen zu nennen, bezeichnet Walch zudem als wichtigen Schritt.
Ordnung in die Gedanken bringen und Emotionen, die bedrücken und irritieren, einordnen, ist die Devise bei Bauer und ihren Mitarbeitenden. „Die Erwartungshaltung und der Druck unserer Gesellschaft auf die Einzelnen ist vor allem in den letzten Jahren, gemeinsam mit den Krisen, ein Cocktail geworden, der uns allen nicht guttut. Viele haben keinen Platz mehr für ein positives Bild der Zukunft“, weiß Bauer. Aus diesem Grund wird in Gesprächen gemeinsam nach Dingen gesucht, die Freude machen, um trotz Krisensituationen positive Ankerpunkte zu finden - 16.000 sind es pro Jahr.
Hoher Anteil hat Beziehungsprobleme
Bei der Telefonseelsorge sind rund um Weihnachten 15 Personen im Einsatz, vor allem Beziehungsprobleme sind es, die während der Festtage zutage treten. Der Heilige Abend selbst sei meist allerdings sehr ruhig, sagt Bauer aus Erfahrung. „Es sind erst die Tage danach, weil Routinen fehlen, Geschäfte geschlossen haben und die Menschen in eine Zeit der Reflexion übergehen.“ Mit durchaus prekären Fällen ist unterdessen Eduard Hamedl, Gründer des Männernotrufs und ehemaliger Polizist und Verhandler mit Spezialisierung auf Suizidandrohungen und Gewalttaten. Auch er bemerkt bei den Anrufenden die Auswirkungen der gesellschaftlichen Situation. „Die Menschen sind mit der Gesamtsituation überfordert und das überträgt sich auf das Familienleben. 90 Prozent der Anrufer haben Beziehungsprobleme“, so Hamedl.
Das bestätigt auch Wolfgang Obendrauf, Leben- und Sozialberater bei der Männerberatung. Er fügt zudem hinzu: „Stark sein, erfolgreich, aber gleichzeitig sensibel und empathisch – auch Männer sind einem Anforderungsdruck von außen ausgesetzt, dem sie kaum gerecht werden können, das betrifft nicht nur Frauen. Darüber zu sprechen, etabliert sich bei ihnen aber langsamer.“ Aus diesem Grund haben sich mehrere österreichische Männerberatungsstellen zusammengeschlossen und das Krisentelefon „Männerinfo“ ins Leben gerufen.
Obsorgestreits, Alkohol und Drogenprobleme – oft landen die schwierigsten Fälle an Hamedls Ohr. „Männer kommen mit dem Verlassenwerden meist viel schlechter zurecht als Frauen“, ist seine Erfahrung. Wie wichtig die Arbeit des Männernotrufs ist, zeigt sich in den Zahlen. 20 Suizidabsichten konnte Hamedl alleine 2023 abwenden, dass die Menschen in solchen Ausnahmesituationen in der Lage sind, sich noch an den Männernotruf zu wenden, hält Hamedl für ein gutes Zeichen. „Es gibt uns seit 2013 und inzwischen hat sich herumgesprochen, dass bei uns Menschen sitzen, denen man alles erzählen kann, die sich zum Reden Zeit nehmen und die einem Gehör schenken – das ist das Wichtigste.“ Hinzu kommen 50 bis 60 Fälle, in denen Männer anriefen, die angaben, sonst gewalttätig gegenüber ihren Partnerinnen zu werden.
Trauer zulassen
Deswegen sei auch opferschutzorientierte Täterarbeit essenziell. „Und zu vermitteln: ,Hol dir Hilfe, es gibt einen Ausweg.‘“, so Hamedl. Auch er wird am 24. Dezember wieder von 8 Uhr morgens bis am nächsten Tag um 8 Uhr in Bereitschaft sein, um Menschen zu helfen. Für die Feiertage hat der Experte einige Tipps, um den Stress herauszunehmen, der häufig Auslöser für Krisensituationen sein kann. „Trauer zulassen und nicht verdrängen, sich selbst etwas Gutes tun und sich bewusst machen, dass Geschenke nicht das wichtigste sind, ist schon viel wert. Das eigene Bauchgefühl ist ein guter Indikator dafür, was man gerade braucht.“ Bauer von der Telefonseelsorge betont zudem den Wert der kleinen Taten. „Wir merken in unserer Arbeit, dass man nicht immer groß denken muss. Betroffenen durch kleine Zeichen im Alltag gutes zu tun, kann schon viel bewirken.“
Die Themen, mit denen sich die Expertinnen und Experten hinter den Krisentelefonen befassen müssen, wiegen meist schwer, doch die Dankbarkeit, die zurückkommt, mache alles wett, ist der Konsens. Vor allem an Heiligabend kommt es häufig vor, dass Betroffene sich melden, um ihre Dankbarkeit auszudrücken. „Es ist bereichernd und motivierend, zu sehen, dass wir den Leuten auf ihrem Weg ein wenig helfen können“, so Walch. „Wenn man öfter mit den Leuten telefoniert, erlebt man auch viele Dinge miteinander und zu einem späteren Zeitpunkt zu hören, dass es ihnen besser geht, ist wirklich schön.“