Als Laura Cencig die Flagge mit dem Schriftzug „Free Palestine“ in der Klasse sah, wurde ihr mulmig: „Schüler der zweiten Klasse haben die aufgehängt. Wir haben dann gesagt, politische Propaganda gibt es an der Schule nicht. Wir haben sie entfernt und darüber gesprochen. Keiner der Schüler konnte mir auf der Karte zeigen, wo Palästina, wo Israel liegt“, berichtet die Geschichtslehrerin am Akademischen Gymnasium in Graz.
Seit dem Angriff der Hamas auf Israel findet sich auch Cencig im Nahostkonflikt wieder. Im Unterricht versucht sie, mit ihren Schülern darüber zu reden; mit Fakten, Karten, Dokumentationen.
Cencig ist eine von mehr als 25 Lehrerinnen und Lehrern, die an diesem Nachmittag zu einem Seminar der „Arge Jugend gegen Gewalt und Rassismus“ in Graz gekommen sind. Sie diskutieren, wie über den Krieg in der Schule gesprochen werden kann. Gesprächsstoff gibt es viel. „Vor allem in den städtischen Schulen fühlen sich viele Lehrer überfordert und hilflos. Sie berichten von körperlichen und verbalen Angriffen unter den Schülern am Pausenhof. Entweder ist man für Israel oder für Palästina –dazwischen gibt es nichts“, erzählt Hannah Grosser von der Arge nach dem Seminar.
Teils fordern auch die Schüler von den Lehrern, sich zu bekennen, berichtet Marko Golob, Geografielehrer an der Modeschule Graz: „Eine Schülerin hat mich gefragt: ‚Auf welcher Seite stehen Sie?‘ Da habe ich erklärt, dass es nicht die eine oder die andere Seite gibt. Das versuche ich, im Unterricht zu vermitteln: Ich versuche selbst, Pro und Kontra zu sehen und den Schülern zu zeigen, dass es nicht nur eine Seite gibt.“
Doch den Lehrern fällt es sehr schwer, ihre Schüler zu erreichen. Zu sehr sind sie geprägt von dem, was sie zu Hause hören oder im Internet sehen. „Die sozialen Medien spielen eine große Rolle. Vereinzelt schauen sich manche dort auch problematische Inhalte an. Ich versuche, mit Fakten und seriösen Quellen zu antworten“, sagt Geografielehrer Golob.
Internet als Brandbeschleuniger
Videos auf Netzwerken wie TikTok seien Brandbeschleuniger, findet auch Seminarleiterin Grosser: „Da bekommen die Schüler sehr einseitige, teils hetzerische Inhalte zu sehen. Das ist ein großes Problem.“ Doch es ist eben nicht nur die digitale Welt, in der die Jugendlichen Antisemitismus und Israel-Feindlichkeit mitbekommen: „Viele sind in Österreich geboren, aber vor allem in den Städten so stark von ihrer Community geprägt, dass sie diese Haltung übernehmen“, erzählt Grosser.
Umgekehrt habe in ihrem Seminar aber auch ein Lehrer einer ländlichen Schule berichtet, dass muslimische Schüler rassistisch beleidigt wurden. Auch die Lehrerin einer Grazer Mittelschule erzählt am Rande des Seminars, dass viele ihrer muslimischen Schüler ausgegrenzt werden.
„Es braucht viel mehr Ressourcen“
Zwischen diesen verhärteten Fronten versuchen die Lehrer, für Diskurs und Differenzierung zu kämpfen. Doch viele fühlen sich dabei alleingelassen. „Es bräuchte viel mehr Ressourcen, zeitliche, finanzielle, personelle“, sagt Geschichtslehrerin Cencig. Das bestätigt Geografielehrer Golob „Es braucht im Lehrplan mehr Platz für diese aktuellen Ereignisse und Krisen. Von offizieller Seite habe ich nur eine Liste mit Internetlinks zum Nahostkonflikt bekommen.“
Die Politik gefordert sieht auch der Arge-Geschäftsführer Christian Ehetreiber. Die Schulen müssten ein Budget dafür erhalten, um externe Experten für Workshops und Schulungen beiziehen zu können. „Wir sehen an dem großen Zulauf und auch an den Rückmeldungen, dass es bei den Lehrern eine große Nachfrage gibt.“
In den Seminaren der Arge versuche man, den Lehrern zu zeigen, wie rote Linie aufgezeigt, auf die österreichische Rechtsordnung eingegangen und ein friedliches Zusammenleben vermittelt werden kann.
Förderunterricht soll helfen
Von dem zuständigen Landesrat Werner Amon (ÖVP) heißt es: „Wir haben in den vergangenen Wochen festgestellt, dass es, gerade auch vor dem Hintergrund der Eskalation des Nahostkonflikts, zu einer verstärkten Tendenz in Richtung Radikalisierung an steirischen Schulen kommt.“ Um dagegen anzukämpfen, gelte es, „verstärkt Ressourcen für Demokratiebildung und Wertevermittlung bereitzustellen“.
Ab dem kommenden Semester soll ein verpflichtender Förderunterricht starten. Er richtet sich an Schüler, die „sich mit dem Entwickeln von Empathie und der Einnahme einer kritischen und wertschätzenden Grundhaltung und dem Umgang mit Heterogenität schwertun“.