Auf Österreichs Rodel-Asse ist bei Großevents stets Verlass. Sie stehen in der vordersten Reihe, wenn man die berüchtigte „Medaillenbank“ strapaziert. Vor vier Jahren gelang David Gleirscher in Pyeongchang der große Coup: Olympia-Gold. „Natürlich kommen die Emotionen von damals wieder hoch. Wir werden es hier zwar mit einigen Einschränkungen zu tun haben, doch sportlich sollte das die Ambitionen nicht schmälern.“ 2022 steht jedoch Gleirschers Teamkollege Wolfgang Kindl, dreifacher Saisonsieger im Weltcup, mehr im Fokus.
Im Gegensatz zu Gleirscher hat Kindl mit Olympia aber eine Rechnung offen. „Ich bin bisher dreimal Neunter geworden. Die Voraussetzungen für heuer sind definitiv andere. Ich habe mir das Ziel gesteckt, eine Medaille zu holen. Ein gesunder Druck ist da, aber garantiert nicht in der Form, dass ich daran zerbreche“, erklärt der amtierende Europameister, der sich in herausragender Form befindet.
Der 33-Jährige ist jemand, der das Letzte aus sich herausholt, alles für den Erfolg investiert. Allerdings kennt er auch das Gefühl, eine volle Breitseite verpasst zu bekommen. Ende der vergangenen Saison stellte sich der Doppel-Weltmeister von 2017 nicht nur einmal die Sinnfrage – grübelte über ein mögliches Karriereende:
Der Natterer realisierte, dass ihm der „gewisse Speed“ fehle. „Ich fing an, hin- und herzutüfteln. Ich bin ein Mensch, der versucht, die Fehler bei sich zu suchen. Vielleicht wollte ich es zu sehr erzwingen. Es war extrem schwierig für den Kopf, da ich einen hohen Anspruch an mich habe.
"Ich wollte es all denen beweisen"
Der Heeressportler tituliert sich als „brutalen Ehrgeizler“, offenbart aber auch, dass einige an ihm zweifelten. „Ich habe einst den Sprung ins Nationalteam geschafft, obwohl viele meinten, dass ich wegen meiner Körpergröße schlechte Voraussetzungen habe und nichts aus mir werden kann. Das war letztlich Ansporn genug: Ich wollte es all denen beweisen.“
Der Kunstbahnrodler macht kein Geheimnis daraus, dass just dieser Ehrgeiz, es allen zeigen zu wollen, dazu führen kann, überehrgeizig zu werden. „Ich will immer gewinnen, egal ob beim Fußball oder Kartenspielen. Wenn ich verliere, kann es vorkommen, dass ich nicht ansprechbar bin, dann bin ich ein kleiner Zornpinkel“, schmunzelt Kindl, der sich als „verkopften Menschen“ bezeichnet: „Ich denke über spezielle Details oft lange nach und nehme mir viel Zeit, um Dinge zu analysieren.“
Angst, sagt er ebenso offen, habe im Rodelsport absolut keinen Platz, „gesunder Respekt gehört aber dazu. Wenn man ängstlich ist, scheitert man aber im Vorhinein.
"Die Bahn kommt mir entgegen"
Mit der Olympiabahn im National Sliding Center Yanqing, wo ab heute trainiert wird und am 5. Februar die ersten beiden der vier Läufe absolviert werden, hat sich Kindl schon beim Saisonauftakt angefreundet. „Die Trainings waren gut. Im Rennen hatte ich im unteren Bereich einen Fehler, war aber sonst schnell. Die Bahn kommt mir entgegen, sie ist eigen, lang, hat Schwierigkeiten und oft fehlen Orientierungspunkte. Und die Bahn ist prädestiniert für Top-Speed“, erklärt der Gesamtweltcup-Zweite, der betont, dass der Kreis der Medaillenanwärter groß ist und ordentliches Gerangel verspricht: „Es wird ein beinhartes Stück Arbeit werden. Aber ich bin gewappnet.“
Nach der gestrigen Bahnbegehung folgen nun täglich zwei Trainingsläufe. „Wer es versteht, seinen Schlitten ohne harte Lenkbewegungen zu beschleunigen und den passenden Rhythmus findet, hat alle Möglichkeiten. Unterm Strich wird das Gefühl entscheiden“, sagt David Gleirscher, der mit seinem Bruder Nico, Sprint-Weltmeister 2021 und Kindl das starke ÖRV-Trio bildet.