Es gibt Dinge im Leben, um die kommt man einfach nicht umher. "Ich muss jetzt alles von der Schule nachholen, was ich wegen der Wettkämpfe verpasst habe", sagt Olga Mikutina. Da gilt auch ein achter Platz, Österreichs bestes Ergebnis seit 24 Jahren, bei den Eiskunstlauf-Weltmeisterschaften in Stockholm nicht als Ausrede. Mit nur 17 Jahren ist Mikutina in der Weltspitze angekommen.
Was sich zunächst unglaublich liest, ist im Eiskunstlaufsport mittlerweile zur Normalität geworden. Mit Weltmeisterin Anna Schtscherbakowa (17) und der Drittplatzierten Alexandra Trussowa (16) fuhren in Schweden zwei ebenfalls blutjunge Russinnen aufs Podest. "Früher gab es auch im Eiskunstlauf Athleten, die um die 30 Jahre alt sind", meint Mikutina. "Aber die Läufer werden immer jünger und jünger, die älteren können einfach nicht mithalten und hören auf."
Olga Mikutina stand schon mit vier Jahren auf dem Eis
Da macht es sich bezahlt, dass Mikutina in ihrem Geburtsland Ukraine bereits im Alter von vier Jahren erste Gehversuche auf dem Eis wagte. "Mein Vater spielte Eishockey, ich habe ihm oft zugesehen", erzählt Mikutina. "Meine Eltern haben mich schließlich zum Eiskunstlauf und zum Tanzen gebracht - tanzen hat mir damals aber gar nicht gefallen, deshalb bin ich beim Eiskunstlauf geblieben." Eine goldrichtige Entscheidung, wie sich einige Jahre später herausstellen sollte.
Vor fünf Jahren zog es die bereits damals dreifache ukrainische Jugendmeisterin von Charkiw nach Vorarlberg. "Meine Trainerin Elena Romanowa wohnt in der Schweiz und trainiert in Feldkirch", erklärt Mikutina. "Ich bin hierhergezogen, damit ich mit ihr trainieren kann. Sie ist eine sehr gute Trainerin, hat eine schöne Technik am Eis und ich kann leicht mit ihr kommunizieren. Es macht sehr viel Spaß mit ihr."
Mikutina: "Der Lebensstandard hier ist viel besser"
Der österreichische Eiskunstlaufverband hatte damit unverhofft den Jackpot geknackt. "Dass ich einmal für Österreich laufen würde, war mir nicht klar", blickt Mikutina zurück. "Nachdem wir umgezogen waren, dachten wir uns aber, es wäre praktisch und leichter, Österreich zu vertreten."
Der Umzug ins "Ländle" war für Mikutina zunächst ein Kulturschock: weg aus der Millionenstadt Charkiw, rein ins beschauliche Feldkirch. "Ich habe aber schnell viele Vorteile gesehen. Hier gibt es frische Luft, freundliche Menschen und eine schöne Landschaft", hat sich die 17-Jährige schnell eingelebt. "Ich war schon zwei Jahre nicht in der Ukraine und ehrlich gesagt, vermisse ich sie auch nicht sehr. Der Lebensstandard hier ist viel besser." Mit zwölf Jahren sprach Mikutina noch kein Wort Deutsch, fünf Jahre später hat sie gar vielen Österreichern einiges voraus: "Wenn man Hochdeutsch kann, ist Vorarlbergerisch nicht so schwierig zu verstehen."
Mikutina hat keine guten Erinnerungen an Graz
Sechsmal in der Woche steht Mikutina zwei Stunden pro Tag auf ihrem "Heim-Eis", wie sie den Eislaufplatz des Feldkircher Eislaufverbandes mittlerweile bezeichnet. Ein typischer Tagesablauf sieht wie folgt aus: "Zuerst Schule, dann Training am Eis, eventuell am Nachmittag zurück in die Schule und am Abend Hausaufgaben erledigen." In der Nebensaison, wenn es in Feldkirch kein Eis mehr gibt, weicht sie in die Schweiz in das eine Autostunde entfernte Flims aus. "Auch während der Saison gibt es oft Tage, wo ich durchgehend bis fünf Uhr Schule habe und dann gezwungen bin, in die Schweiz zu fahren, weil die Eiszeiten in Feldkirch nur bis fünf Uhr gehen."
An ihr erstes Großereignis, die Europameisterschaft 2020 in Graz, hat die zweifache österreichische Staatsmeisterin wenig gute Erinnerungen: "Die Stadt Graz ist sehr schön, aber ich war damals krank und bin in meiner Freizeit nur im Bett gelegen", erzählt sie. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, sich für die Kür zu qualifizieren - letztlich wurde sie 24. Zusätzlich zur Erkrankung war auch die Nervosität aufgrund des großen Publikums ein Faktor, sagte ihre Trainerin damals. Dieses ist ihr heuer in Stockholm "erspart" geblieben. "Der Applaus hat schon gefehlt, es freut mich immer, wenn mir so viele Leute zuschauen", sagt Mikutina. "Aber es war auch gut, dass es nicht so viel Ablenkung gab, es fühlte sich an, wie im Training."
Mikutina plant bereits ihren Olympia-Trip nach Peking
Wie schon im Graz blieb Mikutina, deren Wettkampf-Outfits allesamt von ihrer Großmutter genäht werden, auch in Stockholm das Sightseeing verwehrt. "Die Tage waren sehr ungewöhnlich wegen der Corona-Maßnahmen", erzählt sie. "Wir lebten in einer Blase, durften nur im Hotelzimmer sitzen, zum Trainingsraum, zur Eishalle und wieder zurück ins Hotel." Spätestens nächstes Jahr möchte Mikutina aber das Privileg, als Spitzensportlerin durch die Welt reisen zu können, voll und ganz ausnutzen. "Ich schaue jetzt schon, welche Sehenswürdigkeiten ich mir in Peking anschauen werde."
Mit ihrem Top-Ergebnis in Stockholm hat sich Mikutina nämlich auch ihr Ticket für die Olympischen Winterspiele in Chinas Hauptstadt gesichert. "Wir trainieren weiterhin wie immer, bald werde ich ein neues Programm einstudieren", verrät Mikutina, die hofft, durch ihre Leistungen mehr junge Menschen in Österreich zum Eiskunstlauf bewegen zu können und den Sport populärer zu machen. "Aktuell trainiere ich bereits an vierfachen Sprüngen, aber es braucht noch Zeit, ich bin noch nicht so weit", sagt Mikutina. "Aber mir gefällt es, dass ich noch so viel erlernen kann. Ich weiß, dass ich aus mir noch herauswachsen kann." Die Konkurrenz sollte sich warm anziehen.