Lang ist's her, da galt Österreich im Eiskunstlauf als absolute Hochburg. Bei den Herren räumten in der Zwischenkriegszeit Willy Böckl und Karl Schäfer im Einzel praktisch alles ab, was es bei Europa- und Weltmeisterschaften zu gewinnen gab, bei den Damen kürte sich Herma Szabo fünfmal in Folge zur Weltmeisterin. Aber auch nach dem 2. Weltkrieg waren die heimischen Eiskunstläufer regelmäßig in der Weltspitze zu finden. Für die bis dato letzte Goldmedaille bei einem Großereignis zeichnet aber Claudia Kristofics-Binder verantwortlich, die 1982 bei der EM in Lyon triumphieren konnte.
Gut 40 Jahre später darf getrost behauptet werden: Es geht wieder bergauf! Bei den diesjährigen Weltmeisterschaften in Stockholm konnte die erst 17-jährige Olga Mikutina die beste österreichische WM-Platzierung seit 24 Jahren einfahren und egalisierte den 1997 von Julia Lautowa in Lausanne geholten achten Platz. Sicher und ohne Sturz pulverisierte Mikutina, die vor fünf Jahren von Charkiw nach Feldkirch ins "Ländle" übersiedelt war, zudem mit 198,77 Punkten ihre persönliche Bestmarke.
Sportmanager Biegler nicht überrascht
Gegenüber dem Kurzprogramm machte die gebürtige Ukrainerin dank der siebentbesten Kür, die sie zur vom Italiener Ludovico Einaudi komponierten Musik "Primavera" und "Experience" ablegte, zudem drei Plätze gut. "Dass die Kür so eine Punktlandung wird und ich noch ein paar Plätze aufholen kann, hätte ich mir nie erträumt", sollte eine glückliche Mikutina später sagen. Mit ihrer Leistung sicherte sie Österreich somit nicht nur einen zweiten Startplatz für die WM 2022, sondern auch einen Quotenplatz für die im selben Jahr stattfindenden Olympischen Winterspiele in Peking. Diesen holten in Schweden bereits zuvor auch die Paarläufer Miriam Ziegler und Severin Kiefer, die mit Platz elf ebenso für ein erfreuliches Ergebnis sorgten.
"Es ist wirklich schön zu sehen, dass wir von den 'kleineren Nationen' - also alles, was nicht Russland, Kanada, Japan oder Korea ist, - ziemlich vorne mitschwimmen", sagt Thomas Biegler, Sportmanager des Österreichischen Eiskunstlaufverbandes (ÖEKV), der von der Leistung Mikutinas angetan, aber keinesfalls überrascht war. "Es war vorhersehbar, dass sie einmal in dieser Liga landen könnte", sagt Biegler, der nicht von einer Leistungsexplosion, sondern vielmehr von einem "kontinuierlichen Weg" sprechen möchte: "Es ist ein Prozess, den ein Eiskunstläufer durchmacht, man baut die Sprünge mit der Zeit auf, am Anfang ist alles ein bisschen fehlerhaft. Das kommt mit der Zeit und der Routine."
Eiskunstlauf ist "Winterweltsportart Nummer eins"
Biegler hofft, dass positive Schlagzeilen, wie sie Mikutina dieser Tage geschrieben hat, auch hierzulande das Image des Sports stärken. "Die Kritiken jetzt sind ziemlich angenehm im Gegensatz zu den früheren Jahren, wo im Fernsehen, wenn überhaupt etwas gezeigt wurde, nur die Stürze zu sehen waren. Aber Eiskunstlauf ist Winterweltsportart Nummer eins. Da einen Top-zehn-Platz zu haben ist vergleichbar mit einem Weltcupsieg im Skifahren. Bei uns nehmen an die 50 Nationen mit schweren Vorausscheidungs-Qualifikationen teil. Beim Skifahren gibt es weit weniger Länder auf hohem Niveau."
Im Eiskunstlauf ist Mikutina nun endgültig auf hohem Niveau - in der Weltspitze - angekommen. Das Training macht sich bezahlt, sechs Tage in der Woche steht die Teenagerin je zwei Stunden am Eis, weitere vier Stunden pro Woche verbringt sie mit Ballett und Ausdauertraining. Aktuell trainiert sie bereits an vierfachen Sprüngen. Läutet Mikutina in Österreich ein Eiskunstlauf-"Revival" ein? "Es ist zum Glück ein individueller Sport", sagt Biegler. "Wenn der Fleiß und das Umfeld stimmen, kann ein einzelnes Talent viel erreichen, auch in einem kleinen Land. In Russland (Anm.: Unter neutraler Flagge holten die russischen Damen in Stockholm einen Dreifachsieg) steht halt eine ganze Industrie dahinter. Wenn eine ausfällt, kommt eine andere nach. Ein Eiskunstläufer ist dort so prominent wie bei uns Marcel Hirscher."
Severin Kiefer und Miriam Ziegler vor Karriereende
Noch heute liegt Österreich im Nationenranking bei den Olympischen Winterspielen mit sieben Goldmedaillen auf Rang vier. Die Erwartungen für Peking möchte Biegler dennoch nicht hochschrauben. "Alleine bei Olympia teilzunehmen, ist ein großer Erfolg. Mehr zu erwarten, wäre gegenüber Olga und den Paarläufern unfair und würde unnötig Druck aufbauen", meint Biegler. Severin Kiefer, der fünf Jahre in Graz gelebt hat, und seine Lebensgefährtin Miriam Ziegler blicken positiv in Richtung China. "Dieses frühzeitige Peking-Ticket motiviert uns", sagte Ziegler. "Wir freuen uns auf unsere dritten gemeinsamen Spiele."
Laut Biegler könnten es für das Duo zudem die letzten werden. "Der Sevi und die Miri sind eher schon am Ende ihrer Karriere und werden sie nach Olympia - nehme ich an - beenden. Da unter die Top-10 zu kommen, wäre ein wunderschöner Abschluss." Für Olga Mikutina hingegen ist noch lange nicht Schluss: "Bei Olga kann sich nach vorne noch viel tun."