Wenn die Vierschanzentournee heute in Oberstdorf in ihre 70. Auflage abhebt, schlüpfen Österreichs „Adler“ in das Federkleid der Jagdvögel. Die „Beutetiere“ tragen die Namen Karl Geiger (der Oberallgäuer will sich als erster Deutscher seit 20 Jahren in die Siegerliste eintragen) und Ryoyu Kobayashi, sind die beiden doch mit ihren Auftritten in der bisherigen Saison in die Rolle der klaren Favoriten geschlüpft. „Sie sind extrem stabil, sie gilt es zu schlagen“, sagt Stefan Kraft, der einmal mehr als Österreichs größter Hoffnungsträger gilt.

Der Schwarzacher mit Wohnsitz Oberalm, der sich im heurigen Frühjahr auf der Großschanze von Oberstdorf zum dritten Mal in seiner Karriere die Weltmeister-Krone aufgesetzt hat (dazu kamen Silber im Team und Bronze im Mixed), konnte diese Saison in Klingenthal seinen ersten Sieg landen und lauert im Weltcup auf Position fünf. „Der Sieg war besonders emotional, weil ich ein hartes Jahr mit vielen Umstellungen, vielen Therapien und einem neuen Körpertraining hinter mir habe. Dass es jetzt schon so gut funktioniert, taugt mir voll. Außerdem ist es super, wenn man keinen Schmerz mehr im Hinterkopf hat“, verweist der 22-fache Weltcupsieger auf jene Rückenprobleme, die ihm in der vergangenen Saison das Arbeitsleben extrem schwer gemacht haben.

Was ebenso für den 28-Jährigen spricht, ist seine große Erfahrung. Immerhin darf sich Kraft den 16. und vorerst letzten rot-weiß-roten Tournee-Triumphator in der mittlerweile langen Geschichte des alljährlichen Schanzen-Spektakels nennen. Gelungen ist ihm dieses Kunststück allerdings bereits vor sieben Jahren, also in der Saison 2014/15. Kraft war zugleich der letzte heimische Springer einer goldenen österreichischen Ära von sieben Gesamtsiegern in Folge. Den Anfang machte Wolfgang Loitzl 2008/09, auf den Steirer folgten Andreas Kofler, Thomas Morgenstern, zweimal Gregor Schlierenzauer, Thomas Diethart und eben Kraft.

Bei der 69. Tournee schaffte es der Salzburger aufgrund seiner Rückenprobleme und einer Corona-Infektion als bester ÖSV-„Adler“ gerade einmal auf Platz acht, heuer soll es doch entscheidend mehr sein: „Ich bin von meiner bisherigen Saison positiv überrascht. Auch, wenn es mir noch ein wenig an Konstanz fehlt. Daher habe ich zuletzt noch an der Stabilität in meinen Sprüngen gearbeitet, um noch mehr Selbstsicherheit zu bekommen.“ Auch wenn das Werk'l also noch nicht zu einhundert Prozent rund läuft, ist Kraft überzeugt: „Der Einser kann jederzeit aufleuchten.“

In Oberstdorf hat er dies für den Österreicher bei einem Tournee-Bewerb bereits zweimal getan: 2014, als „Kraft'l“ im Oberallgäu seinen ersten Weltcupsieg (und in weiterer Folge eben auch den Tournee-Triumph) feierte, und 2016. Und heuer? „Es ist kein Geheimnis, dass mir die Schanze in Oberstdorf liegt. Ich komme hier immer mit einem sehr guten Gefühl her und fühle mich im Gegensatz zum Vorjahr heuer auch topfit.“

Zusätzlicher Anreiz für Kraft und seine Kollegen ist heuer die Verfünffachung des Preisgeldes für den Gesamtsieger. Im Idealfall winken dem Gewinner 143.000 Euro, das Gesamtpreisgeld beläuft sich auf 383.000 Euro. Die Erhöhung ist in Zeiten der Pandemie ein mutiger Schritt, werden die Springen doch allesamt wie im Vorjahr ohne Zuschauer über die Bühne gehen. „Natürlich ist das im Vergleich zu anderen Sportarten noch immer nicht viel, aber die FIS ist dahinter, dass es immer mehr wird“, sagt Kraft.

Neues Outfit für die Tournee

Anlässlich der 70. Weitenjagd auf den vier Schanzen wird sich auch die Tournee in neuem Gewand präsentieren. Im neuen Logo dominiert nicht mehr die „Vier“, sondern wurde der Begriff „Vierschanzentournee“ als Wortmarke in Vordergrund gerückt. Außerdem fallen die bisherigen bunten Ortsfarben weg, sie werden durch ein einheitliches Blau ersetzt, das laut den Veranstaltern „für Kraft, aber auch für den Wintersport“ steht.