Ihr Olympiasieg in Lake Placid ist nun 40 Jahre her. Welche Erinnerungen kommen bei Ihnen hoch, wenn Sie daran denken?
Toni Innauer: Ich bin ja auch Vortragender, daher habe ich diesen Erfolg immer wieder auffrischen dürfen. Es ist eine schöne Situation, damit einen Teil meines Berufes abdecken zu können. Es ist immer wieder das Gefühl, es im letzten Moment, nach vielen Verletzungen, noch geschafft zu haben. Es war ein toller Abschluss meiner Karriere. Wobei ich damals nicht gewusst habe, dass es der Abschluss sein wird. Ich habe mich ja danach schwer verletzt, daher war der Olympiasieg wie eine Erlösung.
Auf Ihrer Homepage haben Sie einen Artikel veröffentlicht, der daran erinnern sollte, welch tolle Leistungen die Skispringer in den 70er- und 80er-Jahren feiern konnten, die aber vom ORF bei diversen Rückblicken ignoriert wurden. Hat Sie dieser Fakt persönlich enttäuscht?
Da ich diese Schräglage schon seit Jahrzehnten kenne, sehe ich das eher pragmatisch. Es ist für mich eine gewisse Selbstverständlichkeit, systematisch, aber nüchtern darauf zu reagieren. Ich habe einen Artikel verfasst, in dem aufgezeigt wird, wie tendenziös mit Geschichte umgegangen wird. Gegenwärtig Dominanz genügt machthungrigen Lobbys nicht, die Vergangenheit soll im Nachgang auch noch zurechtgerückt werden.
Ist das ein sportspezifisches Phänomen?
Nein, das gibt es in durchaus wichtigeren Bereichen. Es ist wichtig, sich mitunter dagegen zu wehren, um das Sensorium zu schärfen, wir dürfen Geschichtsklitterung nicht einfach hinnehmen. Vom Sachlichen her war in den 70er-Jahren Karl Schnabl der erfolgreichste Olympiateilnehmer, diese Medaillen haben das Bestehen des Skigymnasiums in Stams gesichert, es gab eine Riesenbegeisterung über das Preiml-Wunder, Kogler als jüngster Skiflugweltmeister oder meine fünf Mal 20 Punkte, als erster Springer in der Geschichte dieser Sportart.
Mit dieser Übermacht beziehen Sie sich auf die Skifahrer?
"Jein", das ist einfach Österreich in seinem Selbstempfinden, der Skisport-Nabel der Welt zu sein. Die Lobby von Ski-Alpin ist verständlicherweise durch den Tourismus, die Skiindustrie, die involvierten Firmen, die vielen Inlandsrennen und die Medienkooperationen sehr stark. Die wenigsten Österreicher wissen aber, dass Skispringen schon vor Jahren weltweit gesehen die doppelten TV-Einschaltquoten hatte wie die alpinen Damen und Herren gemeinsam.
Wie sehen Sie die Spätfolgen des Coronavirus?
Die Spätfolgen können wir noch nicht abschätzen, wir merken aber, wie tief der Sport betroffen ist. Wie sich der Sport verändert, wenn keine Zuschauer dabei sein dürfen, zeigt sich schonungslos. Man merkt auch, wie schnell im Sport, wie kürzlich beim Tennis in Belgrad, Emotionen übers Ziel hinausschießen können. Es ist sehr hart für Sportler, wenn Olympische Spiele verschoben werden und ihr Programm zusammenbricht. Spannend wird, wie die Sponsorenlandschaft damit umgehen wird.
Was halten Sie von Sport ohne Fans?
Man lernt den Mehrwert des Publikums erst richtig zu schätzen. Die Emotionen, von echter Verzweiflung bis größter Freude fehlen, es kommt nur ein Bruchteil der prickelnden Atmosphäre auf.
Welcher Bereich profitiert?
Auf den Breitensport hat es sich eher positiv ausgewirkt. Weil plötzlich mehr Zeit da war und viele begonnen haben, sich bewusst um ihren Körper zu kümmern. Viele haben den Wert, sich frei in der Natur bewegen zu können erkannt oder den Zusammenhang von Bewegung, guter Ernährung und Immunsystem gelernt.
Wohin führt der Weg der österreichischen Skispringer?
Seit den 70er-Jahren sind wir eine richtige Skisprung-Nation, haben mit Stefan Kraft den aktuellen Weltcup-Gesamtsieger. Ganz erfolgreich waren wir, wenn in den unteren Strukturen gut gearbeitet wurde, talentierte Trainer und ehrgeizige Leute drin waren. Dann beginnt plötzlich eine Dynamik zu greifen, wenn die Vereine, die Skigymnasien oder die Leistungszentren richtig gut brummen. Wir sind zwar im Moment nicht so dominant wie einst die "Superadler", aber jedenfalls eine Top-Nation, man kann keinesfalls sagen, dass wir abgehängt wären.
Mario Kleinberger