Ein turbulentes Bergiselspringen hat die Gesamtwertung in der Vierschanzentournee durcheinandergewirbelt. Bei wechselnden Windbedingungen siegte erneut die norwegische Unbekümmertheit namens Marius Lindvik. Der junge Norweger und der zweitplatzierte neue Tournee-Führende Dawid Kubacki aus Polen waren am Samstag in Innsbruck die großen Gewinner.
Stefan Kraft sprang als Vierter (123/127,5) knapp am anvisierten Podest vorbei, Gregor Schlierenzauer zeigte als Sechster auf. Lindvik wiederholte vor 22.200 Zuschauern seinen Erfolg aus Garmisch-Partenkirchen und liegt vor dem Tournee-Finale in Bischofshofen nun 9,1 Punkte oder fünf Meter hinter Kubacki. Dahinter rangieren Karl Geiger (GER/13,3) und der zuvor Führende Ryoyu Kobayashi (JPN/13,7). Für Geiger und Kobayashi reichte es nur zu den Tagesplatzierungen acht und 14.
"War mir wurscht, jetzt ist es bitter"
"In Oberstdorf war es mir noch wurscht. Jetzt ist es schon bitter", sagte Kraft nach Rang vier. Er verpasste das Podest um 4,3 Punkte. "Ein bisschen traurig bin ich schon. Schade, für die Fans wäre ein Stockerl auch cool gewesen." Ein solches ist auch Gesamt noch möglich. Konfrontiert mit seinem 32,1-Punkte-Rückstand meinte der Salzburger aber: "Wenn ich schaue, welche Namen da vor mir sind - da braucht es schon Glück und zwei richtig gute Sprünge, um denen 20 Punkte (etwa 11 m, Anm.) abzunehmen."
Gregor Schlierenzauer tat just auf seiner Heimschanze wieder Freudensprünge. Er gewann zunächst das K.o.-Duell mit Kamil Stoch und landete letztlich auf dem sechsten Rang. "Der war absolut fürs Herz", sagte der zweifache Bergisel-Sieger nach seinem 127,5-m-Flug bei Aufwind. "Wenn man ins Fliegen kommt, zwischen den Ski drinnen hängt, dem Hexenkessel entgegenschwebt, dann ist das ein geiles Gefühl, für das man trainiert." Sein Ziel sei es, zum Abschluss erneut "zwei Sprünge auf diesem Niveau" zu schaffen.
Hinter dem Duo Kraft-Schlierenzauer betrieb Philipp Aschenwald (13.) mit einem Satz auf 127,5 m im Finaldurchgang noch Schadensbegrenzung. Er hatte zuvor Windpech gehabt. Jan Hörl (21.), Michael Hayböck (23.) und Daniel Huber (25.) holten Weltcuppunkte. Letzterer stürzte beim Ausfahren, kam dabei aber glimpflich davon. "Das Genick spüre ich g'scheit. Das wird jetzt noch ärger werden, aber ich hoffe, dass es trotzdem für morgen passt", sagte Huber.
Deutsche "Angst-Schanze"
Severin Freund 2016 (Sturz), Richard Freitag 2018 (Sturz), Markus Eisenbichler 2019 (Föhnsturm): Regelmäßig büßten deutsche Skispringer zuletzt ihre Titelchance bei der Tournee am Bergisel ein. 2020: Geiger stürzte zwar nicht, konnte bei tückischen Bedingungen aber nicht an seine zuvor starken Leistungen anschließen. Er ist um den ersten deutschen Tourneetriumph seit Sven Hannawald 2001/02 deutlich ins Hintertreffen gerückt. Auch Kobayashi sprang in Innsbruck nicht mehr mit der schon gezeigten Leichtigkeit.
Obwohl Kubacki als Spitzenreiter nach Bischofshofen fährt, trauten im Anschluss nicht wenige ÖSV-Adler dem 21-jährigen Lindvik eher den Gewinn des Goldenen Adlers zu. Der Jungstar selbst wollte nach seinem zweiten Weltcupsieg innerhalb von vier Tagen "keine Worte" haben. "Ich hatte zwei großartige Sprünge. In der Tournee-Gesamtwertung ist schon noch ein Abstand da, aber unmöglich aufzuholen ist es nicht", sagte Lindvik im ORF-Fernsehen.
Das Finale im Salzburger Pongau lässt gerade für die guten Flieger große Aufholjagden zu, doch wer nach dem Bergisel vorne lag, gewann zuletzt so gut wie immer auch die Tournee. Im vergangenen Jahrzehnt fing nur 2017 Stoch den nach Innsbruck führenden Daniel Andre Tande (NOR) noch ab. Tande, zuletzt von einer Verletzung ausgebremst, sprang am Samstag zum dritten Mal auf ein Bergisel-Podium.
Die Paul-Außerleiter-Schanze ist die "Österreicher-Schanze" unter den vier Tournee-Bakken. Dort triumphierte bereits 23 Mal ein ÖSV-Athlet. Michael Hayböck ist der letzte Name auf dieser Siegerliste. Der Oberösterreicher feierte 2015 seinen ersten Weltcupsieg und wurde damit Tournee-Zweiter hinter seinem Zimmerkollegen Kraft. Dieser wurde im Vorjahr hinter Kobayashi Zweiter. Davor gewann zweimal der polnische Altmeister Kamil Stoch. Seinem Teamkollegen Kubacki muss er keine Tipps geben: Kubacki landete in der Vorjahres-Quali einen neuen Schanzenrekord (145 m) und im Bewerb auf Platz zwei.