Auf die Frage, ob er das Geheimnis seines Erfolges verraten könne, sagte er: „Keine Ahnung.“ Und ob er erklären könne, was den Unterschied zum Vorjahr, als er überraschend den Tournee-Grand-Slam holte, und heuer, wo er als Favorit angereist ist, ausmache, beantwortete er mit: „Ich denke von Sprung zu Sprung.“Ja, Ryoyu Kobayashi ist nicht unbedingt ein Mann der großen Worte und rüttelt damit Erinnerungen an Janne Ahonen wach. Auch der „schweigende Finne“ bestach durch kurze, nichtssagende Floskeln.
Doch eint die beiden nicht nur eine ausgeprägte Wortkargheit, sondern auch ein unglaubliches Gespür für die Thermik. Mit fünf Gesamtsiegen ist Ahonen der erfolgreichste Tourneespringer der Geschichte, Kobayashi, der seit April mit Richard Schallert einen österreichischen Heim-Trainer hat, heftet sich nun aber an die Fersen des Blondschopfs aus Lahti. Mit dem Sieg beim Auftaktspringen des 68. Schanzenspektakels in Oberstdorf landete der „Red-Bull-Pilot“ den fünften Tournee-Einzelsieg in Folge und gab dann sogar in einem ganzen Satz zu, dass er den zweiten Grand Slam in Folge schon ein wenig im Hinterkopf habe. So übersetzte es zumindest der bemühte Dolmetscher, der Kobayashi wie bereits im Vorjahr zur Seite steht und einem das eine oder andere Mal das Gefühl vermittelt, verzweifelt etwas mehr aus dem herauszuholen, was der Japaner eigentlich von sich gegeben hatte.
Gefeiert wie ein Popstar
Zudem liegt ein weiterer Verdacht nahe – nämlich jener, dass Kobayashi in seiner fernen Heimat sehr wohl auch zu verbalen Großtaten fähig ist. Immerhin wird der 23-Jährige aus Hachimantai im Land des Lächelns wie ein Popstar gefeiert. Und ein schweigender Popstar – das klappt irgendwie nicht. Zudem lassen die Bilder seiner sozialen Accounts darauf schließen, dass der Gesamtweltcupführende ein Lebemann ist, der sich gerne mit nacktem Oberkörper und schnellen Autos ablichten lässt.
Nachdem Kobayashi („Ich denke, ich bin ein nachdenklicher Mensch“) aber hier in Europa so gut wie nichts von den Gründen für seine springerischen Qualitäten preisgibt, muss man eben wo anders nachfragen. „Er hat einen einzigartigen Sprungstil. Das Ski-Aufkanten und Oben-Raus-Fliegen machen ihn extrem stark“, sagt etwa Stefan Kraft, der in Oberstdorf mit 13,9 Punkten Rückstand auf den Japaner auf Platz vier landete und bei der heutigen Qualifikation in Garmisch (14 Uhr, ORF 1 live) zur großen Aufholjagd blasen will.
Und was sagt Österreichs Cheftrainer Andreas Felder über den japanischen Überflieger? „Sein Sprung ist extrem am Limit. Einerseits sehr grenzwertig, anderseits sehr effektiv, wenn es ihm aufgeht. Außerdem hat er eine sehr gute Wettkampfstabilität, die er sich im Vorjahr erarbeitet hat. Dabei hat es heuer zu Beginn gar nicht so gut bei ihm ausgesehen. Mittlerweile kann man es aber nicht ausschließen, dass er sogar erneut den Grand Slam packen kann. Dafür braucht es aber auch Glück.“ Und zu den 13,9 Punkten Rückstand seines Schützlings Kraft: „Kobayashi hat auch noch drei Stationen vor sich. Bei ihm kann es wie gesagt extrem weit gehen, doch die Konstanz ist bei ihm auch nicht zu einhundert Prozent da.“ Aber: Sechs der jüngsten zehn Tournee-Sieger hatten auch schon beim Auftakt
Alexander Tagger aus Garmisch