Zwar lebt bei Stefan Kraft noch der Traum vom Triumph bei der 72. Vierschanzentournee, die Chancen auf den „goldenen Adler“ sind nach dem Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen aber drastisch gesunken. 25,2 Punkte oder umgerechnet 14 Meter muss der rot-weiß-rote Hoffnungsträger beim Bergiselspringen in Innsbruck am Mittwoch (13.30 Uhr/live ORF 1) sowie beim Dreikönigsspringen in Bischofshofen am Samstag auf den deutschen Gesamtführenden Andreas Wellinger aufholen.
Wellinger führt zur Halbzeit mit 600,7 Punkten vor dem Japaner Ryoyu Kobayashi, der nur 1,8 Zähler zurück liegt und damit ebenfalls ein komfortables Polster auf Kraft hat. Aus einem Dreikampf an der Spitze wurde am Neujahrstag ein Zweikampf, dann folgt ein österreichisches Trio in Lauerstellung. Der Gesamtweltcupführende Kraft (575,5), Manuel Fettner (568,1) sowie Jan Hörl (566,5) sind vor den Heim-Bewerben noch nicht ganz abgeschüttelt und führen gleichzeitig eine starke ÖSV-Armada an. Allerdings ist für einen Sprung nach vorne ein Umfaller des zuletzt so konstanten Spitzenduos fast eine Notwendigkeit.
Kraft hofft auf das Nervenspiel
„Es braucht vielleicht ein bisschen ein Nervenspiel von den beiden“, sagte Kraft in Garmisch-Partenkirchen, wo er anders als in den vergangenen sechs Jahren mit einem sechsten Platz seine Chancen auf den Gesamtsieg nicht völlig aus der Hand gegeben hat. Die Hoffnung sei jedenfalls noch da. „Wir werden probieren, die Lücke zu schließen“, betonte Kraft, der weiterhin die Handbremse lösen will. „Ich werde den aggressiven Sprungstil wieder auspacken müssen und dann kommen vielleicht wieder so richtig geile Sprünge raus.“
Die ersten Sprünge am Bergisel verliefen am Dienstag jedenfalls nach Wunsch. In der Qualifikation musste er sich bei wechselnden Windbedingungen vor 7.500 Zuschauern mit 124,5 Metern nur Garmisch-Sieger Anze Lanisek geschlagen geben. Im ersten Training verzeichnete der Weltcup-Dominator die klare Höchstweite, auf das zweite Training verzichtete er. „Es hat perfekt funktioniert, ich bin gleich sehr gut mit der Schanze zurechtgekommen“, sagte Kraft der APA - Austria Presse Agentur. „Es kann möglich sein mit so einem Tag wie heute.“
Vorfreude auf die heimischen Fans
Mit fünf Saisonsiegen war Kraft zur Tournee gereist, das Gelbe Trikot wird der Salzburger wohl noch länger tragen. Nun freut sich der 30-Jährige auf die heimischen Fans. „Das wird guttun. Ich muss nicht zaubern, weil ich weiß, dass ich in sehr guter Form bin. Bei jedem Sprung, wenn alles passt, kann sehr leicht der Einser aufscheinen“, erklärte der Pongauer. Aber während die deutschen Nachbarn immer mehr vom ersten Tourneesieg seit 22 Jahren träumen dürfen, scheint die rot-weiß-rote Durststrecke von neun Jahren weiter anzuhalten.
ÖSV-Cheftrainer Andreas Widhölzl stärkte Kraft den Rücken. „Es ist alles drin und es kann noch viel passieren. Wir müssen positiv bleiben und dürfen das Glas nicht als halbleer sehen. Wir können das auch wieder aufholen“, sprach der Tourneesieger von 1999/2000 motivierende Worte. Auch für Fettner ist alles offen. „Es ist überhaupt noch nichts verloren“, betonte der Tiroler, es komme viel auf die Verhältnisse in den nächsten Bewerben an. „Wenn es turbulenter wird, sind die Punkte gleich mal wieder da.“
Die Kollegen glauben an den „Krafti“
Hörl bewertete die Situation ähnlich. „Schreiben wir den Krafti nicht ab, es kann viel passieren. Es ist machbar und kann schnell gehen“, sagte der Salzburger, der beim Neujahrsspringen aufgrund schlechter Windverhältnisse sein viertes Saison-Podest verpasst hatte. Michael Hayböck, als Achter in der Gesamtwertung ebenfalls stark, erwartet sich spannende Bewerbe in der Heimat und sieht Zimmerkollege Kraft noch voll im Rennen. „Jetzt kommen erst seine Schanzen, abgeschrieben ist noch lange nichts. Sag niemals nie.“
Der letzte rot-weiß-rote Tagessieg beim Bergiselspringen liegt aber schon elf Jahre zurück. Damals triumphierte Weltcup-Rekordsieger Gregor Schlierenzauer. Die bisher letzten Stockerlplätze in Innsbruck gelangen Kraft in den Jahren 2015 und 2019 mit zwei zweiten Plätzen.