Nur wenige Tage, nachdem der Kartenverkauf für das Auftaktspringen der 72. Vierschanzentournee in Oberstdorf gestartet wurde, waren sämtliche Tickets bereits vergriffen. Ja, die Begeisterung für die Jagd nach den Weiten auf zwei Brettern lebt in der oberallgäuischen Gemeinde wie sonst nur noch im polnischen Zakopane. Pilgerten bereits am Tag vor dem Wettkampf mit 16.300 Zuschauern so viele Fans wie noch nie zu einer Tournee-Qualifikation, so kochte die Stimmung gestern bereits unter Tags in den Straßen von Oberstdorf über. Ein Fahnenmeer gepaart mit ohrenbetäubendem Trötenlärm und dem Geruch von Glühwein prägte die ausgelassene Stimmung, die dann am Abend in der mit 25.500 Fans ausverkauften Skisprung-Arena dank des Triumphs des Deutschen Andreas Wellinger ihren umjubelten Höhepunkt fand.
Der Lokalmatador setzte sich in einer packenden Konkurrenz vor dem Japaner Ryoyu Kobayashi sowie dem bisherigen Saisondominator Stefan Kraft durch. Der Rückstand des Österreichers auf Wellinger betrug 10,4 Punkte – das sind umgerechnet 5,7 Meter. „Ein dritter Platz ist auch ein schöner Erfolg“, sagte Kraft, der sich nach seinen bisherigen fünf Saisonsiegen freilich noch ein bisschen mehr erhofft hatte. Allerdings merkte man dem 30-Jährigen auch an, dass er aufgrund seiner Rückenprobleme in den vergangenen zehn Tagen keinen Sprung absolviert hatte. Dies wollte der Pongauer aber nicht als Ausrede gelten lassen. „Die zwei vor mir waren heute einfach stärker und mein zweiter Sprung ein bisschen spät. Die letzten Springer hatten sehr schwierige Bedingungen, aber ich bin froh, dass ich auf dem Stockerl stehen darf.“ Nachsatz des Salzburgers mit einem Augenzwinkern: „Die Stimmung heute war einmalig. Auch gut, dass ich das nicht zerstört habe.“
„Habe grandiose Sprünge gemacht“
Zur Freude von Wellinger, der seinen ersten Saisonsieg landen konnte. „Ich habe noch nie ein Publikum eine deutsche Hymne so laut singen hören. Ich konnte das jetzt so richtig genießen. Ich habe zwei wirklich grandiose Sprünge gemacht“, strahlte der Olympiasieger von 2018, der nach einem Kreuzbandriss (2019) wieder den Weg in die Weltspitze gefunden hat. Hinsichtlich möglichem Gesamtsieg steigt der 28-Jährige aber auf die Euphoriebremse: „Ich will einfach jeden Tourneetag genießen. Die Devise lautet eines nach dem anderen.“
Neben Kraft schafften es mit Jan Hörl (8.) und Michael Hayböck (10.) zwei ÖSV-Adler in die Top zehn. Manuel Fettner (13.) hatte vor allem im zweiten Durchgang Pech mit den Bedingungen, Clemens Aigner (19.) und vor allem Daniel Tschofenig (20.) können definitiv mehr. „Es war ein Wettkampf auf sehr hohem Niveau, wobei der Wind eine größere Rolle gespielt hat, als wir gehofft hatten“, resümierte Cheftrainer Andreas Widhölzl. Und weiter: „Der Krafti hat seinen Job gemacht. Es waren noch nicht die besten Sprünge, aber er ist gut im Rennen dabei. Und die Tournee dauert ja noch lange. Zehn Punkte ist nicht viel – da kann noch sehr viel passieren.“
In Garmisch geht‘s weiter
Nach einem Ruhetag geht es am Sonntag mit der Qualifikation in Garmisch weiter, am Montag (14 Uhr) folgt das Neujahrsspringen. Auch, wenn Kraft und der Olympia-Bakken nicht die besten Freunde sind, will der Österreicher in Bayern zur Aufholjagd blasen. Zuversicht versprüht auch ÖSV-Sportdirektor Mario Stecher: „Wir sind gut im Rennen und in Schlagdistanz – es ist noch alles offen!“