Im Oberstdorfer Bergydill, einer schmucken Frühstückspension in der südlichsten Gemeinde Deutschlands, hat in den vergangenen Jahren nicht nur der Verfasser dieser Zeilen, sondern auch ein Journalist der Neuen Züricher Zeitung stets sein Quartier für den Auftakt der Vierschanzentournee aufgeschlagen. Laut Bergidyll-Besitzer glänzt der Kollege heuer allerdings erstmals seit dem Jahre Schnee durch Abwesenheit. Offiziell, weil das Blatt das Interesse anderen Sportarten zugewendet hat. Inoffiziell, weil es von Simon Ammann keine großen Sprünge mehr zu erwarten gibt und ein Gregor Deschwanden in der öffentlichen Wahrnehmung eben nicht für einen vierfachen Olympiasieger einspringen kann.
Dabei hätte sich Ammann trotz seiner mittlerweile fehlenden Weiten gerade heuer besondere Aufmerksamkeit verdient. Nicht nur, weil es vielleicht sein letzter Auftritt beim Schanzen-Spektakel rund um den Jahreswechsel sein könnte (dies hat es ab 2014 schon mehrere Male geheißen), sondern weil die „Ikone auf zwei Brettern“ in ihre bereits 25. Tournee abhebt. Eine beeindruckende Ausdauer, die der Eidgenosse da an den Tag legt und damit an Schanzen-Methusalem Noriaki Kasai, der mit seinen 51 Jahren noch immer nicht seinen Rücktritt bekannt gegeben hat, erinnert.
Ammann zählt „erst“ 42 Lenze, hat dem Skisprungsport aber nicht durch sein Alter, sondern vielmehr mit seinen Erfolgen einen Stempel aufgedrückt. Aufgrund seines Aussehens inklusive Drahtgestell auf der Nase auch „Harry Potter der Lüfte“ genannt, erlebte der Weitenjäger aus Grabs in den 2000er-Jahren seinen größten sportlichen Höhenflug. 2002 in Salt Lake City und 2010 in Vancouver flog Ammann sowohl auf der Groß- als auch der Normalschanze jeweils zu olympischen Gold, 2007 krönte sich der 23-fache Weltcupsieger 2007 in Sapporo auch noch zum Weltmeister.
Unvergessen bleibt der bei den Spielen 2010 vom ÖSV gewitterte Skandal, als der Schweizer mit einem gebogenen Metallzapfen an der Bindung, der es dem Springer ermöglicht, die Ski im Flug für einen besseren Luftwiderstand noch flacher zu positionieren, der Konkurrenz auf und davon flog. Der Protest vom damaligen österreichischen Cheftrainer Alex Pointner half nichts - wenig später verwendeten alle Springer das Zäpfchen anstelle des bis dahin üblichen Bindungsbandes.
Unvergessen sind allerdings auch einige Kapitalstürze des Schweizers. Wie etwa 2015 in Bischofshofen, wo er nach einem wilden „Stern“ kurzfristig sogar das Bewusstsein verlor und eine Gehirnerschütterung davontrug. Erst dank einer Umstellung bei der Landung (statt mit dem rechten, setzte er nun mit dem linken Bein vorne auf) konnte er das Risiko minimieren. Doch die Glanzzeiten waren da bereits vorüber: 2014 in Kuusamo holte er seinen bis dato letzten Weltcupsieg, am Tourneegesamtsieg flog er 2008/09 und 2010/11 jeweils als Zweiter knapp vorbei.
Viele Projekte abseits der Schanzen
Auch heuer wird Ammann, dessen bisher bestes Saisonergebnis ein 24. Platz in Lillehammer ist, die Tournee nicht gewinnen. Doch dies ist auch nicht die Priorität des mittlerweile selbsternannten „Breitensportlers“. „Ich bin noch dabei, weil mir dieses Projekt nach wie vor Spaß macht“, sagt der Ausnahmekönner, der längst auch andere Projekte laufen hat. Wie etwa seine Privatpilotenlizenz, sein Betriebswirtschaftsstudium, ein Hotel- und Gastro-Projekt in seiner Heimatgemeinde Wildhaus-Alt St. Johann oder die Sportmarketing-Agentur ASP Sports.
Ob der Gesamtweltcupsieger 2009/10 auch noch ein 26. Mal bei einer Vierschanzentournee auf dem Zitterbalken Platz nehmen wird, ist noch offen. Doch wenn man eines in der Karriere des Schanzen-Dauerbrenners gelernt hat, dann, dass nicht nur für James Bond, sondern auch für Simon Ammann ein Satz besonders gilt: „Sag niemals nie!“