In exakt zehn Wochen beginnt zum sechsten Mal in der Geschichte eine Skiflug-Weltmeisterschaft in Bad Mitterndorf. Was Anfang der 1950er als „b‘soffene G‘schicht“ – Zitat Jürgen Winkler, Sportlicher Leiter der Skiflug-Veranstaltungen am Kulm – im Gasthaus Reisinger begonnen hat, ist spätestens seit 1996 „nicht nur ein Wintersport-Wettkampf, sondern ein Event.“ Das sagt Lasse Ottesen. Und der Norweger, mittlerweile FIS-Renndirektor der Nordischen Kombinierer, hat die Skiflug-WM 1996 in bester Erinnerung. Obwohl: „Es war nicht mein bestes Skiflug-Ergebnis.“ Während Andreas Goldberger 1996 über seinen Weltmeistertitel jubeln durfte, packte Ottesen als 50. („von 50“) seine Ski zusammen.

Goldbergers Weltmeistertitel 1996 ist sicher eine der Sternstunden des Kulms. Es gibt aber unzählige mehr. Positive und negative. Etwa der erste (und wohl letzte) Skiflug-Weltrekord, der in der Steiermark aufgestellt wurde. Andreas Felder flog 1986 bei der Weltmeisterschaft 191 Meter weit. Aber auch Stürze, wie jener von Thomas Morgenstern 2014, der den Kärntner letztlich zum Karriereende bewegte. Oder jener von Lukas Müller, der 2016 als Vorspringer so schwer stürzte, dass in der Folge eine inkomplette Querschnittslähmung diagnostiziert wurde.

„Die Weltmeisterschaft wird gut. Für die Steiermark, für Bad Mitterndorf, für den Kulm. Es wird wieder fantastische Bilder geben“, sagt etwa Toni Innauer, jahrelang als Skisprung-Trainer und Nordischer Direktor im ÖSV tätig. Und Hubert Neuper, Vater des Kulm-Events 1996, erinnert sich an seinen ersten Flug: „Ich war 17 und wollte meine Ski schon wieder zusammenpacken.“ Edi Federer, erinnert sich Neuper, ist als Erster gesprungen, er war als Zweiter an der Reihe. „Der Edi ist vor mir einfach verschwunden. Was habe ich mir angetan? Das Ego war dann aber doch zu groß. Und es war ein fantastisches Gefühl.“ Für Neuper selbstverständlich: „Ich bin mit Ski an den Füßen aufgewachsen. Ich bin aber von Anfang an nicht mit Stöcken Skifahren gegangen, sondern mit einer Schaufel.“

Zurück in die 1950er und ins Gasthaus Reisinger: Das Gespräch über eine mögliche Skisprung-Schanze haben Landwirte am Nebentisch mitgehört. Und haben sogleich ein entsprechendes Stück Land angeboten. „Moorgebiet, die Bauern waren froh, das losgeworden zu sein“, sagt Winkler. Noch heute steht die Schanze an jenem Fleck. Freilich wurde sie seither immer wieder umgebaut – um auf dem neuesten Stand zu sein. Und auch, um größere Weiten zu ermöglichen.

205 Meter – weiter geht es nicht

1997 stellte der Japaner Takanobu Okabe mit 205 Metern einen neuen Schanzenrekord auf, flog vier Meter weiter als Jens Weißflog im Jahr davor. „Geht nicht weiter, weil der Kulm gibt nicht mehr her“, erinnert Winkler, was damals allgemeingültige Meinung war. Andreas Goldberger stürzte im Jahr 2000 bei 209,5 Metern. Christian Nagiller flog im Training im Jahr 2003 220 Meter weit – und stürzte. „Alles am Kulm, wo man sich einig war: Jeder Flug über 200 Meter ist ein Wahnsinn“, sagt Winkler.

Im Jahr, als Nagiller bei 220 Metern stürzte, flog Daniela Iraschko-Stolz erstmals auf dem Kulm über 200 Meter.

Für einen Abbruch hat ein Sturz von Goldberger im Jahr 2000 gesorgt. Starker Schneefall hat immer wieder für Verschiebung gesorgt. Der Hinweis der Trainer war klar formuliert: „Wenn ich winke, dann sind gute Bedingungen“, erinnert sich Goldberger. „Darauf habe ich vertraut.“ Und tatsächlich hat Goldberger optimale Bedingungen vorgefunden – zumindest in der Luft. „Ich hab mir nur Gedanken gemacht, wie komme ich so weit wie möglich runter. An die Landung habe ich nie gedacht.“ Aufgrund der Schneemassen war aber genau die Landung das größte Problem an diesem Tag. „Ich hab dann in der Luft den Schnee gesehen und gewusst, dass sich das nicht ausgehen kann. Aber ich hab den Flug durchgezogen. Ob es mich 200 oder 210 reinhaut, ist auch schon egal.“ 209,5 sind es geworden. „Ich glaube, meine Ski stecken heute noch dort. Die Schulter war wieder kaputt, ich bin dagehängt. Aber das war es mir wert“, sagt Goldberger. Die 209,5 Meter wären damals auch Schanzenrekord gewesen.

Prevc flog am Kulm 244 Meter weit

Mittlerweile – freilich nach allen Umbauarbeiten – steht der Schanzenrekord am Kulm bei 244 Meter (bei der Weltmeisterschaft am Kulm 2016 Peter Prevc). Beim Weltcup-Fliegen im Vorjahr konnte Ziga Jelar einen Flug auf 247,5 Meter nicht ohne Schnee-Berührung mit der Hand stehen.

Eine Kulm-Anekdote gibt es auch um den tschechischen Skiflug-Weltmeister und -Experten Jaroslav Sakala, der sich 1994 in Planica durchsetzte.

Zwei Jahre nach seinem Karriereende, hat den Tschechen noch einmal die Lust am Fliegen gepackt und er hat sich am Kulm als Vorspringer zur Verfügung gestellt. „Nachdem wir gewusst haben, dass der Sakala relativ gut fliegt, haben wir ihm nicht den Anlauf gegeben, den die anderen Vorspringer bekommen haben, sondern sind schon Richtung Wettkampf-Gates gegangen“, erzählt Winkler. „Das hat den Jaroslav fürchterlich gestört, weil er wollte einfach runter.“ Was hat der Tscheche getan? Er hat mit einem anderen Vorspringer die Vorspringernummer getauscht. Mit 16 Anlaufluken mehr ist Sakala 204 Meter weit geflogen. „Das hat dann freilich Konsequenzen gehabt.“

Dass auf dem Kulm ein Weltrekord zwar möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist, liegt auch an der Seehöhe: Vikersund liegt auf 90 Metern Seehöhe. „Und da ist es viel lustiger Skizuspringen als auf 2000 Metern Seehöhe“, erklärt Andreas Goldberger. Das Geheimnis ist die Luftdichte. „Da hast du viel mehr Druck, man kann sich besser in die Luft legen und hat mehr Auftrieb.“ Gleich wie die Tennisspieler: „Die jammern auch, dass in Kitzbühel die Bälle höher hupfen.“

Das Wetter darf nicht mitspielen

Und dann muss auch noch das richtige Wetter vorherrschen, um richtige Topweiten präsentieren zu können. Und das richtige Wetter ist nicht das, dass sich die TV-Stationen und der Tourismusverband wünschen, sondern: Bewölkt. „Sobald die Sonne scheint, haben wir Rückenwind vom Feinsten“, sagt Winkler. Bei Bewölkung? Den Aufwind, der einen nach unten trägt. Der Gegenhang erwärmt sich, wenn die Sonne untergeht, steigt die warme Luft auf, prallt am Grimming ab und kommt von hinten rein. „Dann sitzt du am Balken und weißt, jetzt zieht es dir ins Genick“, sagt Goldberger.

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