Im Frauen-Vergleich ist die US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin mit ihren 83 Weltcupsiegen nun die alleinige Beste. Ski-Weltcuprennen gibt es in dieser Saison noch genug, um weitere dreimal zu gewinnen und zu "König" Ingemar Stenmark auf den Thron zu steigen bzw. bei noch vier Triumphen die Krone von ihm zu übernehmen.
Ein objektiver Vergleich zwischen Frauen und Männern, noch dazu zu verschiedenen Zeiten, fällt allerdings schwer. Pikanterweise liegen die beiden Legenden selbst in Zahlen aktuell auf Augenhöhe. Shiffrin hält bei 238 Weltcupstarts, Stenmark hatte laut FIS-Angaben 230. Shiffrin stand 131-mal auf dem Podest, Stenmark 155-mal.
Im Vergleich zum Technik-Spezialisten Stenmark ist Shiffrin skifahrerisch wohl breiter aufgestellt. Zwar gelangen 51 ihrer 83 Siege im Slalom und 18 im Riesentorlauf. Doch Shiffrin ist eine Alleskönnerin. Je fünfmal gewann sie im Super-G bzw. bei Parallel-Events, dreimal in der Abfahrt und einmal in der Kombination, obwohl sie das Training in den Speed-Disziplinen nicht allzu sehr forciert.
Selbst die unwirkliche 100-Siege-Marke scheint angesichts ihres Alters von nur 27 Jahren möglich. Tatsächlich wirkt Shiffrin als Person gefestigter, ihr Slalom-Schwung sicherer denn je. Seit zehn Jahren gewinnt sie im Weltcup, wie Shiffrin-Manager Kilian Albrecht zuletzt erinnerte. "Für die meisten ist es nicht möglich, in einer einzigen Disziplin zehn Jahre erfolgreich zu sein. Mikaela schafft das vom Slalom bis zur Abfahrt. Es ist unfassbar."
Mikaela Pauline Shiffrin wurde am 13. März 1995 in Avon, Colorado, geboren, mit acht Jahren übersiedelten ihre Eltern Jeff und Eileen mit ihr nach New Hampshire, wo es beizeiten eisig kalt sein kann. "Wir wollten sehen, ob sie Skifahren auch in Bedingungen liebt, die man hasst", sagte ihr Vater Jeff einmal.
Im Winter also Pistenkilometer sammeln (bei jedem Wetter), im Sommer Heim-Parcours mit Besenstielen (Kippbewegungen!), Einrad fahren, um das Gleichgewicht zu schulen. "Kinder mit rohem athletischen Talent schaffen es kaum ganz an die Spitze", sagte Shiffrin senior, auch physikalisch war die Sache für ihn klar: "Drachen fliegen höher bei Gegenwind."
Dass Dr. Jeffrey Shiffrin, ein Anästhesist, 1987 in einen Blutdoping-Skandal bei US-Langläuferin verwickelt war, gehört ebenfalls zur Familien-Biografie. Der Fall, der im anschließenden Untersuchungsbericht als "one-time-only situation", als "einmalige Situation", bezeichnet wurde, habe sein Unrechtsbewusstsein geschärft, sagte Jeff Shiffrin, und Einfluss auf die Kindeserziehung genommen. "Wir sind gegen Betrug, gegen Doping und gegen das Ausnutzen eines unfairen Vorteils."
Stattdessen will er seiner Tochter Widerstandsfähigkeit gelehrt haben. Eine Eigenschaft, die Shiffrin brauchte, als nach dem Olympiadebakel von Peking 2022, vor allem aber zuvor nach dem Unfall-Tod ihres Vaters im Februar 2020 alles ins Wanken gekommen war. Aus der Bahn werfen ließ sie sich vom Schicksalsschlag nicht.
Shiffrin sah plötzlich, dass der Erfolg auch für eine Dauersiegerin wie sie keine Selbstverständlichkeit ist, dass ihre wiederkehrenden Gedanken an ein mögliches Scheitern kein Hirngespinst sind. "Je mehr ich gewinne, desto mehr fürchte ich mich davor, nicht mehr siegen zu können."
"Alles, was sie kontrollieren kann, wird sie kontrollieren", meint Jim Taylor, ein Sportpsychologe, der Shiffrin interviewt hat. "Auf alles, was sie nicht kontrollieren kann, konzentriert sie sich nicht. Ich habe mit vielen kompetenten Athleten gearbeitet, die unter Druck immer noch einknicken, aber sie hat sich selbst trainiert, um widerstandsfähig zu sein."
Die chronische Unsicherheit trage sie mit sich, sagte Shiffrin, um zu ergänzen, dass sie die Zweifel als Antrieb betrachte, noch mehr für ihren Sport zu tun, in den Trainings noch härter zu arbeiten. "Das Ziel im Sport ist es, dass du den Sport auf ein neues Level hebst. Es ist sehr aufregend, Rekorde zu brechen und Geschichte zu schreiben."