Fünf Jahre Ski-Zirkus haben aus Petra Kronberger eine zweifache Olympiasiegerin, dreifache Gesamtweltcupsiegerin und erschöpfte Frau gemacht. Mit 23 Jahren hatte "Petra, the Great" genug. 30 Jahre später wecken der Rücktritt von Matthias Mayer und die anstehende WM in Méribel Erinnerungen bei der Salzburgerin. Kronberger ist 2015 als Frauenbeauftragte in den Österreichischen Skiverband zurückgekehrt, aktuell leitet sie dort die Abteilung "Optimal Sports".
Im APA-Interview erklärt Kronberger, welche Herausforderungen und Chancen ein Rücktritt vom Spitzensport mitbringt, erzählt vom "krönendsten Gefühl" ihrer Karriere und erläutert, wie sie bei Misserfolg mit Athleten und Athletinnen umgeht.
Matthias Mayer hat mit seinem abrupten Karriereende überrascht. Sehen Sie Parallelen zwischen Ihrem und seinem Rücktritt?
Kronberger: "Ich sehe insofern Parallelen, als dass er genauso wie ich mitten in der Saison, in einem Weltmeisterschaftsjahr, die Karriere beendet hat. Und fast auf den Tag genau, nur 30 Jahre später. Matthias hat am 29.12. aufgehört, ich am 28.12."
Waren Sie von seinem Rücktritt genauso überrascht wie die breite Öffentlichkeit?
Kronberger: "Ja, ich war sehr überrascht und ziehe den Hut vor der Konsequenz, dem Mut und der großen Kunst des Loslassens. Vielleicht war der Akt der Entscheidung, über diesen Schritt offenbar niemandem vorab zu informieren, wichtig, um diesen Weg ganz alleine, in Ruhe, ohne 'Umstimmungsversuche' von außen, zu gehen. Wie eine Art Initiation für den neuen Lebensabschnitt."
Wie sehr können Sie sich da noch in den Athleten hineinversetzen?
Kronberger: "Ich glaube, mich zumindest zu einem Teil hineinversetzen zu können, und denke, dass der Schritt wohl überlegt war und Matthias es sich nicht einfach gemacht hat. Vielleicht ist der Tag dann schneller gekommen als geplant. Mir kommt das Bild von einem reifen Apfel in den Sinn. Du merkst, dass er reifer und reifer wird, doch es lässt sich nicht exakt sagen, wann genau er vom Baum fällt."
Inwieweit kann oder wird sein Rücktritt das Teamumfeld beeinflussen?
Kronberger: "Ich denke, derjenige, der für das Rennfahren brennt, wird den Fokus bald wieder auf den Rennalltag gelegt haben. Derjenige, für den Matthias ein Unterstützer, ein Mentor gewesen ist, der wird ihn schwer vermissen. Das könnte sich unter Umständen (kurzfristig) auch auf die Leistung auswirken. Auf alle Fälle hat ein solcher Verlust Einfluss auf das Teamgefüge und die -atmosphäre. Systemisch betrachtet beeinflusst jedes Dazukommen oder Wegfallen eines Teammitglieds die Gruppe - rollenspezifisch, emotional, bewusst oder unbewusst."
Wissen Sie, wie das in Ihrem Fall war?
Kronberger: "Bei mir hatte ich das Gefühl, dass es zwar ungewohnt für meine Kolleginnen und das Betreuer:innenumfeld war, jedoch nicht so überraschend, da ich zuvor die eine oder andere Andeutung gemacht hatte. Es bestätigte sich schmerzhaft die Annahme, dass man Teil eines großen Getriebes ist und schnell 'ersetzbar'."
Befragt danach, auf was er sich jetzt am meisten freuen würde, sagte Mayer "einfach leben". Wie schafft man den Umstieg als Spitzensportler ins "einfache Leben"?
Kronberger: "Die Antwort 'leben' von Matthias hat mich ziemlich berührt. Neben den schönen und unbezahlbaren Möglichkeiten, die der Spitzensport mit sich bringt, schwang für mich die Härte, der Druck, möglicherweise Ängste und Verzicht mit. Das nach vielen Jahren ablegen zu können, kann wie eine Befreiung sein. Nun kann er das 'andere Leben' entdecken."
Welche Herausforderungen aber auch Möglichkeiten kommen auf ihn zu?
Kronberger: "Die Herausforderungen sind zahlreich: Weniger umjubelt werden, sich nicht mehr mittels Zeit mit anderen messen können, keinen Teamspirit auf der Ebene von Spitzenleistungen spüren können, keine Struktur für den Alltag, weniger Adrenalinspitzen, keine unmittelbare Rückmeldung auf die erbrachte Leistung, neues Talent und Aufgaben finden, dem Leben einen Sinn geben, ohne Beachtung durch die Öffentlichkeit. Die Möglichkeiten sind aber mindestens genauso groß: Aus dem Vollen schöpfen und ausloten, worin sonst Interessen und Begabungen liegen, sich nicht mehr beweisen 'müssen', vielleicht Familie gründen, weniger Druck. Der Rückblick auf eine höchst erfolgreiche Karriere schafft möglicherweise gewisse Freiheit für das spätere Leben, was eine tolle Basis sein kann."
Waren Ihre Olympiasiege 1992 ein bestimmender Grund aufzuhören? Hätte Sie Misserfolg damals zum Weitermachen bewogen?
Kronberger: "Die Olympiasiege waren für mich wie eine Befreiung. Ich konnte sagen, dass ich alles erreicht habe. Sie waren ein riesengroßes Geschenk, denn sie lassen mich ein Leben nach dem Sport leben, ohne irgendetwas im Sport nachtrauern zu brauchen oder mir vielleicht zu sagen: Hätte ich es doch noch einmal probiert. Ob mich Misserfolg bewogen hätte, weiter zu machen? Ich kann es nicht sagen. Wohl eher nicht. Denn aufgrund der Intensität an Erfolgen in äußerst kurzer Zeit (in drei WC-Saisonen), dem Druck, dem Rummel rund um eine junge Frau, war ich ausgelaugt. Ich brauchte lange, um es zu verarbeiten."
Gerade im Misserfolg fällt auf, wie groß der Anspruch an Katharina Liensberger als Teamleaderin ist. Bieten Sie in Ihrer aktuellen Funktion in solchen Situationen aktiv Unterstützung an, oder halten Sie sich bewusst zurück?
Kronberger: "Ich verfolge diese Situation mit und erinnere mich an meine Zeit zurück. Wenn ich noch nicht weiß, wie ein/e Athlet:in reagiert, biete ich vorsichtig Unterstützung an, ohne mich aufzudrängen. Man merkt sofort, ob jemand die Hand (an-)nimmt, oder nicht. Wenn nicht, dann geht es darum, das Signal zu geben, dass ich akzeptiere und trotzdem die 'Türe offen' halte. Man weiß nie, wie sich Prozesse entwickeln. Ich sehe mich für Athlet:innen und Betreuer:innen als eine von mehreren Kontaktmöglichkeiten, als eine neutrale Stelle, von einer Frau besetzt, die Spitzensportlerin war und zur Schweigepflicht verpflichtet ist. Manchmal passt genau dieses Profil für ein (langes) Gespräch, bei dem sie sich verstanden fühlen. Es braucht oft nicht mehr als Zeit und Zuhören."
Können sich junge Frauen 2023 besser vom Leistungsdruck abgrenzen als zu Ihrer Zeit? Oder sind die Sorgen die gleichen wie 1992?
Kronberger: "Für manche ist es wohl so schwierig wie vor 30 Jahren. Andere sind sehr selbstbewusst, haben gelernt, auf sich und ihren Körper zu hören und getrauen sich eher, ehrlich dem/der Trainer:in, dem/der Betreuer:in zu sagen, wie es ihr/ihm gerade geht. Zu meiner Zeit war ein Rennen wegen zu viel Stress oder Müdigkeit auszulassen, ein No-Go. Sich 'herausnehmen' fehlte irgendwie als Option. Heute kann ich nur jeder/jedem Athlet:in gratulieren, wenn sie auf ihr Herz hört und merkt, dass es besser ist, das Rennen nicht zu fahren, um größeren Schaden zu bewahren. Glauben Sie mir, wenn ein/e Athlet:in so etwas macht, braucht es Mut. Der Druck gegenüber Dritten ist hoch und das Gefühl schlimm, zu Hause zu sitzen und zu sehen, wie die anderen Rennen fahren."
Welchen Anteil hat Olympia 1992 in Albertville an der Person, die Sie heute sind?
Kronberger: "Es hat einen großen Anteil. Noch heute werde ich darauf angesprochen, was vor 30 Jahren geschehen ist. Wenn jemand fragt: 'Frau Kronberger, darf ich Sie fragen, warum sie damals plötzlich aufgehört haben?', bin ich immer wieder (freudig) erstaunt. Dass sich die Menschen damals so intensiv mit dem sportlichen Weg auseinandergesetzt, so stark Anteil genommen haben. Die Erfolge vom Februar 1992 werden ein Teil von mir bleiben, bis die Petra Kronberger irgendwann Geschichte ist. Sie haben Ruhm, Ehre, Zufriedenheit und Freiheit gebracht, von dem ich noch heute zehre."
Bedeutet Ihnen "Petra, The Great" knapp 31 Jahre später noch etwas? Und hängt das legendäre Time-Magazin mit Ihnen auf dem Cover noch irgendwo zuhause?
Kronberger: "Petra, The Great - ich fühle mich nach wie vor geehrt. Weil es sehr besonders ist, in seinem Leben einmal bei diesem Magazin am Titelbild zu stehen. Ich staune noch heute, was sich jener Mensch dabei gedacht hat, der sich für mich und diesen Satz als Titelbild entschieden hat. Es fühlt(e) sich wie im Film an. Das Time-Magazin gibt es noch, zu Hause, in mehrfacher Ausgabe."
Welche Erinnerungen werden wach, wenn Sie an die Olympiabewerbe 1992 denken?
Kronberger: "Die sonnige Erinnerung ist, dass die Kombiabfahrt leicht von der Hand ging und vor allem das Gefühl für den weichen Schnee zählte. Beim Kombislalom schneite es dicke Flocken - am Tag der ersten Goldmedaille. Dann das Bild am Time Magazine. Danach folgten die Abfahrt mit Rang 5 und 18 Hundertstelsekunden Rückstand auf den Sieg, der Super-G mit einer Hundertstelsekunde hinter der Bronzemedaille, der Ausfall im Riesentorlauf. Am letzten Tag der Slalomsieg, die zweite Goldene an einem wieder sonnigen, wolkenlosen Tag. Es war das krönendste Gefühl meiner Karriere."