Die Geschichten, die Avital Shimko von ihren Großeltern aus der „alten Heimat“ hörte, waren keine schönen. Umso schöner, dass Avital Carroll, wie die 26-Jährige seit ihrer Heirat heißt, fest entschlossen ist, sie zu einem Happy End zu führen. Gewissermaßen. Avital Carroll, in New York geboren, bekam von Oma Elfi die Liebe zum Skifahren vererbt – und will nun, ohne noch Deutsch zu sprechen, für die alte Heimat von Elfi Hendell, geborene Straub, Olympia-Gold gewinnen. Auf Ski, in der Buckelpiste. Möglich macht das ein Gesetz, dass es für Nachkommen von Kriegsvertriebenen seit zwei Jahren ermöglicht, die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen zu bekommen.

Doch bevor Avital von ihrer aktuellen Buckelpiste erzählt lohnt ein Blick auf die „Buckeln“, die ihre Familie bewältigen musste im Zweiten Weltkrieg. Familie Straub aus Wien war nach Italien geflohen und wurde dort wie die kroatisch-stämmigen Familie Hendell (deren Sohn David später zu Elfis Ehemann werden sollte) ausgelost, um auf der „U.S.S. Henry Gibbins“ in die USA transportiert zu werden. Eine abenteuerliche, 20-tägige Reise, die schließlich in einem Lager in Oswego/New York endete. Es sollte übrigens der einzige „offizielle“ Flüchtlingstransport durch die USA während des Krieges bleiben – endend in einem weiteren Lager, nachdem die Mehrzahl der „Glücklichen“, wie die ausgelosten 1000 Personen genannt wurden, am 5. August eingetroffen waren und auch in den USA lange Zeit in dem Lager leben mussten.

„Die Erinnerungen meiner Großeltern an die Heimat sind natürlich nicht wirklich schön“, sagt Carroll, „aber beide waren damals noch sehr jung und arm – und sie wussten nicht wirklich, was vor sich ging. Am schlimmsten ist vielleicht, dass sie nie wirklich Kind sein durften. Was das bedeutet, das kann sich ohnehin niemand von uns vorstellen.“

Und doch hat der Skisport das Interesse an Österreich geweckt. „Aber ich kenne oder kannte es fast nur aus Filmen, so wie ‘The Sound of Music’“, sagt sie lachend. Und dann stieß sie auf das Gesetz und die Möglichkeit, die Staatsbürgerschaft anzunehmen. Warum? „Im September 2020 habe ich davon erfahren und mir nur gedacht: Das wär’ doch toll – sportlich, weil ich mich selbst organisieren könnte. Und dann geht es mir darum, mein kulturelles Erbe weiterzutragen und vor allem nicht aufhören, über die schrecklichen Dinge zu sprechen, die passiert sind und die nach wie vor weltweit passieren.“

Es passt zu ihrem Motto, dem sie sich verschrieben hat: „Love–Dream–Unite. Liebe–Träume–Verbinde“, nennt sich das. Und das ist für Caroll, die sogar ihr eigenes Logo nach diesem Motto gestaltet hat, nicht einfach nur dahingesagt. Caroll will verbinden: „Wie gesagt, es passieren nach wie vor schreckliche Dinge in der Welt. Und es geht darum, diese Probleme zu lösen, darauf aufmerksam zu machen.“

Das will sie nun auch als Österreicherin – und Jüdin. „Ich bin sehr stolz, dass ich ein Land vertreten kann, das weltweit so für den alpinen Skisport steht“, sagt das jüngste von fünf Kindern. Ihre älteste Schwester Arielle war es, die in Vermont den Skisport auch wettkampfmäßig probierte, nachdem Oma Elfi die Familie auf Schnee gebracht hatte. Als Arielle am Wochenende die ersten Buckelpisten-Bewerbe bestritt, „da bin ich einfach in ihre Fußstapfen getreten. Aber mit zwölf hatte ich meine Träume noch nicht realisiert, es ging dann einfach Schritt für Schritt. Die Schule in Steamboat Springs, die Aufnahme ins US-Team ...“ – und dann weitere „Buckeln“, die ihr das Leben bzw. der Sport zwischen die Beine warf.

Kreuzbandriss und lange Reha machten "richtig Hunger"

Die Vizeweltmeisterin von 2015, die sich in der Saison 2017/18 gerade einen Fixplatz im Weltcup erfahren hatte, riss sich ein Kreuzband, beide Menisken – und brauchte fast zwei Jahre, bis die Reha abgeschlossen hatte. Eine Zeit, in der die nach Park City umgesiedelte New Yorkerin u. a. auch beste Freundin von Abfahrts-Ass Breezy Johnson wurde. Aber nicht nur das: „Während der Pause wurde ich einfach superhungrig nach dem Sport. Ich wollte und will den Erfolg mehr denn je zuvor. Ich liebe das Adrenalin, das auf der Piste hochschießt. Und die Sprünge – so groß wie möglich, Angst kenne ich dabei keine.“

Dass sie diesen Erfolg für Österreich haben will, liegt sie auf der Hand: „2027 gibt es die Freestyle-WM im Montafon, also in Österreich – und ein Jahr davor sind die Olympischen Spiele in Cortina/Turin. Und da träume ich von der Goldmedaille.“

Trainiert für diesen Erfolg wird sie von Ehemann Bobby, der im „Hauptberuf“ Betreuer der australischen Herren ist. „Ja, da gibt es dann manchmal Konfusion zwischen Austria und Australia“, sagt Carrol lachend.
Ihre eigene Einbürgerung ging rasch vonstatten. „Als ich von dem Gesetz erfahren habe, habe ich mich in Österreich erkundigt, den Rest haben die Anwälte gemacht“, erzählt sie. Verliehen wurde ihr die Staatsbürgerschaft in einem feierlichen Akt in New York – vom damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz: „Das war schon speziell, wir – es waren sieben oder acht – wurden mit offenen Armen empfangen. Und auch dieses Gesetz ist ja Teil des Wechsels – alle haben uns versichert, dass Österreich nicht mehr so ist, wie es damals war. Es ist ein großartiges Land, ich freue mich schon auf Wien.“ Und womöglich auch darauf, nach Innsbruck zu ziehen und dort die „Europa-Basis“ aufzuschlagen. Eine Basis, um sportliche Träume zu erfüllen – und für eine bessere Welt zu werben.