Ein wenig hatten die Österreicher gehofft, dass die erste Abfahrt in Gröden auf verkürzter Strecke nicht die Ausnahme war, die die Regel bestätigt. Doch die Hoffnung wurde enttäuscht. Denn die klassische Gröden-Abfahrt am Samstag war nahezu so, wie in der jüngeren Vergangenheit gewohnt – und mit keinem guten Ende für die ÖSV-Abfahrer, die im 100. Rennen in Gröden sogar die Top zehn verpassten. Weil auch diesmal in Gröden viele Fahrer mit höheren Nummern ihre Chance nützten, gab es letztlich für Otmar Striedinger, im Vorjahr noch Zweiter, und Matthias Mayer nur den geteilten 12. Platz. Verloren hatten beide das Rennen dort, wo man es schon davor befürchtet hatte: ganz oben.
Über eine Sekunde verlor Striedinger da auf den Schnellsten in diesem Abschnitt, "das regt mich schon ein wenig auf, dass ich da so weit weg bin". Zumal er im Ziel 1,24 Sekunden hinter dem grandiosen Sieger lag. Und der hieß zum fünften Mal in Gröden Aleksander Aamodt Kilde. Als er sich ärgerte, da begann das Spiel der hinteren Nummern gerade. "Na, hoffentlich bleiben wir in den Top 30", scherzte der Kärntner da noch. Das ging sich aus, von Platz sechs aus ging es aber stetig nach hinten. Da hatte Mayer schon sein Fazit gezogen: "Der Donnerstag super, heute nicht. Aber wenn nach vier Abfahrten der schlechteste Platz ein sechster Rang ist, dann ist das nicht schlecht", hatte er da noch gemeint. Es wurde "nur" Platz zwölf. "Und ich weiß, dass der Sieg noch nicht dabei war. Aber wir arbeiten daran, dass er uns gelingt."
Im Moment gelingen diese Siege aber eher Kilde und Odermatt im Wechselspiel. Der Norweger feierte am Samstag seinen dritten Abfahrtssieg auf der Saslong und kam aus dem Schwärmen nicht heraus: "Ich liebe es einfach, hier zu fahren. Ich mag die Leute am Start, die Stimmung, die Strecke." Und: Kilde lernt aus Fehlern. Im Vorjahr war er auf dem Weg zum Abfahrtssieg bei der Einfahrt zur Ciaslat-Wiese gescheitert, diesmal holte er sich just dort eine Sekunde auf den Zweitplatzierten Clarey. "Ich habe davor Tempo rausgenommen, das war geplant – und dann ist mir alles gut gelungen", sagte er lächelnd. Und erklärte gleich, dass sein Schnauzbart, den er sich für die "Movember"-Aktion wachsen ließ, noch bis Weihnachten bleibt. Weil Freundin Mikaela Shiffrin sich das wünscht, muss Mamas Wunsch nach Rasur warten.
Mit seinem Sieg verhinderte Kilde ein Märchen – den ersten Abfahrtssieg von Johan Clarey, der im Jänner 42 Jahre alt wird. "Ich habe in der Ciaslat leider Fehler gemacht, sonst war ich heute sehr schnell. Als Aleks dort weit voraus war, wusste ich, es wird nichts mit dem Sieg, obwohl ich bis zum letzten Moment an das Wunder geglaubt habe." Einen besonderen "Rekord" hat der Franzose aber schon: Mit Platz zwei in Gröden hat er die "Top fünf" der Rangliste der ältesten Fahrer auf dem Podest alleine inne.
Die Hoffnung auf den ersten Sieg hat er auch noch nicht aufgegeben: "Ich hoffe, es geht sich noch aus, es gibt ja ein paar Rennen, die ich mag." So wie Kitzbühel, wo Clarey ebenfalls schon auf dem Podest war. Oder die WM im eigenen Land. Wie lange er weitermacht, ist noch offen: "Es kann gut sein, dass ich das letzte Mal hier war. Zu 90 Prozent ist es so. Es ist nicht mehr leicht, sich am Start zu motivieren, voll zu pushen", sagte er. Und die Antwort auf die Frage, ob man es mit dem Alter mehr genieße, meinte er nur kurz: "Nein. Der Stress ist eher größer. Aber manchmal zumindest kann ich ihn gut managen."
Casse auf Rang drei
Ebenfalls erstaunlich: Mattia Casse, großes italienisches Talent, das bisher immer nur im Training aufgezeigt hatte und meist einen Fehler einbaute, fuhr auf Platz drei und rettete so die Ehre des Veranstalterlandes.
Das "Wunder", auf das Clarey vergeblich gehofft hatte, blieb auch bei den Österreichern aus. Daniel Hemetsberger ("Ich bin gefrustet, zwei Sekunden nachfahren will keiner") und Vincent Kriechmayr ("Mit meiner Routine darf mir so ein Fehler in der Einfahrt zur Ciaslat nicht passieren") verloren oben schon viel Zeit, legten Fehler nach. Das (traurige) Fazit: Der "Gröden-Code" für den obersten Teil der Saslong ist nach wie vor nicht geknackt. "Das war zu befürchten", seufzte Hemetsberger, "es war zu weich, da verliere ich einfach." Aber alle versprachen: "Wir laden die Akkus auf – und greifen wieder an!"