Mikaela Shiffrin quittierte die Frage des Moderators, ob sie sich denn ungeachtet der Tatsache, dass der Mann neben ihr ein Konkurrent ihres Freundes Aleksander Aamodt Kilde sei, mit einem Lächeln und ein wenig Ratlosigkeit. „Lass in der Hocke die Ellbogen am Körper“, meinte sie dann und ergänzte: „Was soll ich dir sagen? Ich denke, du machst alles ganz gut.“
Der Mann neben ihr, Marco Odermatt, dankte artig. Stimmt, so schlecht kann der Schweizer seine Sache nicht machen, der schon seit seiner Jugend mit den Größten aller Zeiten aus der skiverrückten Nation verglichen worden war. Doch der nunmehr 25-Jährige schulterte diese Bürde immer locker, wie es schien; war immer bestens gelaunt und tat einfach den nächsten Schritt. Vor einem Jahr war das gleich der Sieg beim ersten Riesentorlauf der Saison in Sölden. Es folgte eine schier unglaubliche Saison: sieben Weltcupsiege, fünf davon im Riesentorlauf. In Peking bewies er mit Gold im Olympia-RTL, dass „Druck“ für ihn kein Hemmschuh ist.
Dank insgesamt 17 Weltcuppodestplätzen gab es am Ende auch die große Kristallkugel für den Sieg im Gesamtweltcup mit beeindruckenden 1639 Punkten. „Der Erfolg im Gesamtweltcup ist das größte Ziel im Skisport. Das habe ich in der vergangenen Saison erreicht. Dazu habe ich es geschafft, den Winter mit einem Sieg abzuschließen. Das hat mich glücklich gemacht, ich bin mit positiven Emotionen in die Pause gegangen“, sagte er beim „Forum Alpinum“.
Klar, dass sich der Blondschopf danach eine längere Auszeit gönnte, abschaltete – aber nicht zu viel. Stefan Brennsteiner, an sich Österreichs Hoffnung, aber nach einer Trainingsverletzung nicht dabei, meinte auf die Frage nach der Konkurrenz vor einigen Wochen nur seufzend: „Ich habe Marco Odermatt im Training gesehen. Was ich sagen kann: Verlernt hat er’s nicht ...“
Und das trotz der gestiegenen Erwartungshaltung – auch abseits der Pisten. Denn der Erfolg bringt Verpflichtungen mit sich. Mitunter ist es die größte Schwierigkeit, diese zu managen. Denn das Gezerre steigt exponentiell mit der Zahl der Erfolge. Stichwort Management: Das mag ein Mitgrund für den Erfolg Odermatts sein. Denn der Mann aus Buochs im Kanton Nidwalden ging mit seinem Manager einen neuen Weg. Kein „Arrivierter“ aus der Skiwelt steht an seiner Seite. Michael Schiendorfer war einst erfolgreich in der Privatwirtschaft – als Kommunikationschef bei „Novartis“, als Medienverantwortlicher bei Konzernen wie Hilti oder ABB, ehe er sich selbstständig machte und eine Handvoll ausgesuchter Sportler unter seine Fittiche nahm.
Sein Leitmotiv, sagte der 54-Jährige einst der „Aargauer Zeitung“, sei nie das Geld gewesen. „Geld ist wichtig, um sich als Athlet erfolgreich auf die Karriere konzentrieren zu können.“ Schon die Nummer 30 der Skiwelt lebe bereits am Existenzminimum, erklärte er. Aber: „Geld kann nicht der Treiber einer Partnerschaft sein. Mein Anspruch ist ein ganz anderer. Ich will, dass es meinen Athleten gut geht, sie eine gute Rolle in der Gesellschaft spielen und eine berufliche Perspektive haben. Dafür sind Themen wie Ausbildung, Netzwerk, Persönlichkeitsentwicklung und Loyalität entscheidend.“ Der Weg scheint zu stimmen, denn neben Odermatt sind Schiendorfers Schützlinge auch im Schweizer Volkssport Schwingen oder in der Leichtathletik erfolgreich.
Apropos Erfolg: Um den zu haben, sagt Schiendorfer, gibt es Wichtigeres als Geld – selbst wenn sein Schützling in der Schweiz schon in der Vorsaison als bestverdienender Athlet des Weltcups galt –, auf das er als Manager achten muss. „Das Wertvollste für Marco ist Zeit. Damit er sich Freiräume schaffen kann.“ Freiräume, die ob der Bekanntheit enger wurden. Auch Odermatt gewöhnte sich an, in Lokalen mit dem Gesicht zur Wand zu sitzen, beim Weg durchs Heimatdorf möglichst unauffällig zu bleiben, um unerkannt zu bleiben, wenigstens einen Rest Privatsphäre zu genießen. „Aber wenn ich wirklich privat sein will, muss ich zu Hause im Garten bleiben.“ Mit dem großen Ziel, heute bereit zu sein: „Es wäre schon wichtig, gleich mit einem Erfolg in die neue Saison zu starten. Aber, wenn es nicht gelingt, hast du danach noch Zeit, um im nächsten Rennen vorne zu sein.“
Von denen gibt es genug, nach der Absage der Abfahrten in Zermatt würden bis zu 33 Rennen warten – zusätzlich zur WM. „An sich waren 35 Rennen in der Planung – das ist sehr extrem für einen Winter, eine große Belastung für den Körper.“ Daher gilt es, der goldenen Regel zu folgen: „Wenn ich merke, es geht nicht mehr, schiebe ich eine Pause ein.“
Womit wir bei den Träumen sind, die nach einer Traumsaison noch offen sind. „Eine Abfahrt zu gewinnen, das wäre ein Schritt in eine ganz andere Welt.“ Was den Riesentorlauf betrifft, will er aber in „seiner“ Welt bleiben – und die Nummer eins der Welt. Weiter auch als Mitglied des Teams. „Ich habe und will kein Privatteam. Ich mag es, mit den anderen Jungs abzuhängen, Karten zu spielen, zu chillen. Das ist mir wichtig.“
Womit wir wieder beim Gesamtweltcup wären. Ein zweiter Sieg? „Natürlich bin ich hier, um den Titel zu verteidigen, aber andere wollen auch gewinnen. Letztlich kann es aber nur einen Sieger geben und du musst eben alles dafür tun, dieser eine zu sein. Entschieden wird es im Kopf, im mentalen Bereich – wie fast immer im Sport.“