Das "Abenteuer" Streif ist geschlagen: Marcel Hirscher war dreimal als Vorläufer dabei, bezwang damit auch die schwierigste Abfahrt des gesamten Weltcupzirkus. Ein Gespräch darüber, wie diese Idee entstanden ist, warum der achtfache Gesamtweltcupsieger es bereut, nicht öfter Abfahrt gefahren zu sein. Und darüber, wie es mit seiner Skifirma weitergeht.

Danke für die Zeit, nachdem es bisher Sprechverbot gab. Wie viel Zeit haben wir heute?
MARCEL HIRSCHER:Ja, entschuldige dafür, dass ich vorher nicht sprechen durfte. Aber jetzt habe ich Zeit. Auch lange.

Dann fangen wir so an: Wie entstand die Idee zum "Abenteuer Streif"?
HIRSCHER: Der Entschluss ist relativ früh gefallen, an sich sogar im Frühjahr. Im Sommer war ich dann zu einer "Sommerbesichtigung", da gab es ja sogar ein Posting. Aber dann hat es relativ lange gedauert, bis ich wirklich gesagt habe, dass ich es mache.

Warum macht man das?
HIRSCHER: Damit ich mitreden kann! Das hat mir gefehlt. Ich bin ja fast alles und fast überall gefahren, aber in Kitzbühel, Mitte Jänner auf die Abfahrt, das hat sich nie ergeben.

Und es wurde ja ziemlich lange dementiert. Warum denn, wenn es so lange feststand?
HIRSCHER: Zu dem Zeitpunkt, als dementiert wurde, dass es passiert,   war es wirklich nicht klar, ob ich es machen kann. Da hat mich ein kleines Zipperlein im Knie geplagt. Ehrlich.

Jetzt ist das Abenteuer erledigt. Wie war es?
HIRSCHER:
Es war cool! Vor allem, wenn man nicht jedes Hundertstel oder gar jede Sekunde rausquetschen muss. Hut ab vor jedem Einzelnen, der hier immer alles raushaut, was möglich ist. Es ist wirklich beeindruckend. Ich kann den Abfahrtssport jetzt mehr denn je nachvollziehen und verstehen. Es ist schön, es macht Spaß, es ist cool. Wenn ich einen Fehler gemacht habe in meiner Karriere, dann den, dass ich zu wenig Abfahrten gefahren bin. Ich hätte zwar viel weniger Rennen gewonnen, aber vielleicht viel mehr Stoke (Wahnsinnsgefühl, Anm.) erlebt.

Aber Sie sind doch noch jung?
HIRSCHER:Nein, bin ich nicht.

Na gut, der heutige Zweite in Kitzbühel ist 41. Da ist noch Luft bei Ihnen.
HIRSCHER:Ja, das ist mega. Aber ehrlich: Ich habe keinen Bock mehr, all das wieder auf Druck zu machen, auf Leistung. Darauf, performen zu müssen. So ist es schön, weil es um nichts geht. Ich kann runterfahren, das ist mega, und ich bin dankbar für die Erfahrung und sage Danke an den Kitzbüheler Ski Club, der das möglich gemacht hat.

Haben Sie auf Ihre Zeit geschaut?
HIRSCHER: Nein, habe ich nicht. Und das ist die Wahrheit. Es gibt ja gewisse Gründe, warum wir gar nicht schnell sein können, die haben wir auch in Kauf genommen. Das hat etwa mit der Frage zu tun, ob man einen Ski mit schönem Belag oder einen Ski mit schnellem Belag nimmt. Wir hatten einen schönen (und er fuhr per Hand gestoppt 2:01,74 Minuten, Anm.).

Waren Sie für sich am Limit?
HIRSCHER: Ich habe mich gesteigert, ganz normal. Die erste Fahrt war sozusagen Schneepflug, dann schon etwas weniger. Und am Ende war es eine kontrollierte, gute Fahrt.

Marcel Hirscher
Marcel Hirscher © Red Bull Content Pool

Hatten Sie keinen Respekt? Keine Angst?
HIRSCHER:
Für mich war es an sich immer schwierig, ohne Training hierherzukommen, dann den Super-G zu fahren. Jetzt, mit dem Training davor und den offiziellen Trainings, da machte es sogar Spaß!

Wie oft haben Sie denn davor schon alleine trainiert?
HIRSCHER: Den unteren Teil der Streif bin ich vor dem ersten, offiziellen Training zweimal gefahren. Oben öfter, das kann schon stimmen mit 20 Fahrten. Aber ich kann sagen: Schrecksekunde gab es keine.

Gibt es keine andere Abfahrt, die Sie reizt?
HIRSCHER:
In Beaver Creek würde ich gerne noch einmal fahren. Für die Abfahrt in Wengen bin ich der Falsche, so schön es dort ist. Da müsste ich wohl jetzt sofort beginnen, mehr zu essen. Es ist halt eher eine Gleiterabfahrt.

Wie läuft es denn in Ihrer neuen Tätigkeit mit der neuen Skifirma?
HIRSCHER:
Es ist cool, aber auch viel Arbeit, wenn man von null an beginnt. Und klar, man darf sich nicht erwarten, dass wir morgen Rennen gewinnen. Aber das ist das Ziel nach wie vor und das bleibt es auch – darauf arbeiten wir hin.

Haben Sie einen Zeitplan?
HIRSCHER:
Der Wunsch wäre es natürlich, dass wir in Österreich beginnen dürfen, Fahrer auszurüsten. Und toll wäre es, wenn wir schon heuer starten dürfen. Auch wenn mir klar ist, dass wir wie alle anderen zuerst junge Fahrer im Europacup und im Nachwuchs ausrüsten würden und nicht gleich im Weltcup beginnen können.

Wo sind Sie denn weiter in der Entwicklung?
HIRSCHER: In den technischen Disziplinen sind wir natürlich viel weiter, da ist mein Erfahrungsschatz ja auch viel größer. Was die Abfahrt betrifft: Ich habe einen Tag Super-G trainiert in Saalbach, dann bin ich mit fünf Prototypen hierher angereist.

Und Ihr Vater ist schon voll integriert?
HIRSCHER: Ja, Papa ist Vollgas dabei. Hier war er auch mit, da schaut er auf die Ski der anderen, wie unsere Ski liegen, wie das Zeug der anderen liegt und was wir besser machen können. Mit anderen Worten: Er macht das, was wir immer getan haben.

Bleibt nur eine Frage: Sieht man sie am Samstag auch im Slalom als Vorläufer?
HIRSCHER:Nein, keinesfalls. Der eine Tag, den ich trainiert habe, der war brutal schwer für mich. Ich habe einfach keine schnellen Beine mehr. Die Streif, das war mein letztes großes Abenteuer.