Im Visier der Kritik steht der Internationale Skiverband, nicht so sehr die Österreicher. Dass die FIS ihre eigenen Regeln quasi missachte, sei „ein reiner Kindergarten“, sagte etwa der Schweizer Alpin-Direktor Walter Reusser.
„Es geht überhaupt nicht um den Vincent Kriechmayr, sondern um die Reglements, die da sind, damit jeder weiß, was er zu tun hat“, erklärte Reusser im ZDF-Interview. „Es gibt diverse Athleten aus verschiedenen Nationen, die hier nicht am Start sind, weil sie sich an die Regeln halten. Auf einmal werden die an einem Abend einfach gekippt. Dass ein Athlet kein Training fahren muss, ist nicht korrekt. Das ist gegen die Sicherheit.“ Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann meinte im ORF: „Man öffnet damit Tür und Tor für Diskussionen. Das ist für mich der schwierige Punkt.“
Auch von Vertretern aus Deutschland und Frankreich – Cyprien Sarrazin wurde vor Wengen positiv getestet – kam Unverständnis. „Wenn in Deutschland ein Läufer nicht die Freigabe der nationalen Behörden hat, hat er nicht die Freigabe. Dann kommt er nicht“, sagte DSV-Cheftrainer Christian Schwaiger. Einen offiziellen Protest legte laut FIS-Angaben aber keine Nation ein, ein solcher hätte in diesem Fall auch nur mehr oder weniger symbolische Wirkung.
Coronatest-Chaos bei Vincent Kriechmayr
Kriechmayr hatte am Samstag in Österreich einen positiven Coronatest abgegeben, kurz darauf war der Doppel-Weltmeister in Abfahrt und Super-G aber wieder negativ. Den Test, den Kriechmayr bei der FIS für die Wengen-Woche einmeldete, war negativ – damit gab es vom Weltverband grünes Licht. Weil sein positiver Befund aber bei den österreichischen Gesundheitsbehörden erfasst war, musste der Spitzensportler fünf Tage bis Mittwoch in Quarantäne bleiben und konnte die beiden Abfahrtstrainings am Dienstag und Mittwoch nicht bestreiten.
Die Teilnahme an den Trainings ist gemäß der vorherrschenden Regel-Interpretation notwendig, um eine Abfahrt zu fahren. Das wischte die FIS am Donnerstagnachmittag jedoch vom Tisch. Renndirektor Markus Waldner erklärte: Ein Läufer müsse nur auf der Startliste für die Trainings stehen – was bei Kriechmayr am Dienstag und Mittwoch der Fall war –, müsse vom Originalstart abfahren, dann könne er sofort abbrechen und es würde als Ersatztraining zählen. Das sei in der Vergangenheit schon bei Athleten, die kurzfristig krank wurden, so praktiziert worden, sagte Waldner.
Unter Punkt 704.1 der Internationalen Wettkampfordnung der FIS steht: „Das offizielle Abfahrtstraining bildet einen untrennbaren Bestandteil des Wettkampfes. Die Wettkämpfer sind verpflichtet, am Training teilzunehmen. Alle qualifizierten Wettkämpfer, welche für den Wettkampf genannt sind, müssen in allen offiziellen Trainingsläufen erfasst und ausgelost werden.“ Unter Punkt 704.8.3 steht: „Ein Wettkämpfer muss mindestens an einer Trainingsfahrt mit Zeitmessung teilnehmen.“ Übergeordnet ist unter 704 jedoch auch angeführt, es könnten für Weltcups „besondere Vorschriften erlassen werden“.
Durch eine Jury-Entscheidung am Donnerstagnachmittag bekam auch Kriechmayr diese Möglichkeit am Freitag vor der ersten Wengen-Abfahrt eingeräumt. Er fuhr um 9.44 Uhr aus dem Starthaus, schnallte nach wenigen Metern ab und ging zur Streckenbesichtigung über. Die verkürzte Abfahrt absolvierte er dann mit Startnummer 7 und belegte den zwölften Platz, 1,26 Sekunden hinter Sieger Aleksander Aamodt Kilde.
„Im Langentrejen war ich zu gerade, dann vor dem Silberhorn-Sprung auch noch einmal, da habe ich kein Tempo mitgenommen“, sagte der 30-Jährige. „Kernen-S ist das Einzige, wo ich wirklich gerne einen Trainingslauf gehabt hätte.“ Auch die Startkurve wäre er gerne einmal gefahren. Sonst sei es aber nicht unbedingt ein Nachteil gewesen, dass er keine Trainings abspulen konnte. „Dafür habe ich frischere Füße gehabt als meine Kollegen. Ich bin da schon ein paar Mal gefahren, dementsprechend ist es nicht so tragisch.“