An sich, sagen alle, die ihn kennen, ist Vincent Kriechmayr ein lustiger Zeitgeselle. Immer für einen Schmäh zu haben, oft einen lockeren Spruch auf den Lippen. Nur wenn es um seinen Beruf geht, dann spaßt er weniger gern. Wenn er die Ski angeschnallt hat, ist er immer auf der Suche nach Perfektion. Und dann kann es durchaus sein, dass sich seine Lust an Konversation plötzlich einbremst. Gut, leicht ist es ohnehin nicht, in einer Sportart nach Perfektion zu streben, der innewohnt, dass es die vom Start bis ins Ziel nicht geben kann. Insofern ist Glückseligkeit maximal vorgetäuscht; und doch ist der Oberösterreicher in der Lage, das Ski-Volk in ebensolche zu versetzen.
Bei der alpinen Ski-WM in Cortina im Februar des Jahres tat er eben das. Wie? Indem er gleich am ersten Tag, an dem Wettbewerbe möglich waren, seine erste Goldmedaille einfuhr, jene im Super-G. Als er dann drei Tage später auch in der Abfahrt Gold gewann, lautete das Motto: Es kann kommen, was will. Denn der Landwirtssohn aus Gramastetten hatte nach 18 Jahren Österreich wieder Gold in der Königsdisziplin beschert und war nebenbei nach den mittlerweile zu Legenden aufgestiegenen Hermann Maier 1999 und dem US-Amerikaner Bode Miller 2005 der erst dritte Skifahrer, dem bei einer WM die Kombination dieser beiden Goldenen geglückt war.
Superlative jeder Art sind aber ohnehin nicht der Untergrund, auf dem sich der 30-Jährige wohlfühlt. „Die Kühe im Stall haben trotzdem nicht mehr Rezept“, sagte er angesprochen auf mögliche Änderungen nach dem Erfolg schulterzuckend. Er selbst ist ohnehin dankbar, wenn der Scheinwerfer der Öffentlichkeit ihn nicht mehr als streift. Insofern war die Pandemie für ihn sogar nützlich. „Ich konnte deswegen nur wenige Termine wahrnehmen, jeder hatte Verständnis, weil das Risiko zu groß gewesen wäre. Und im Freien habe ich immer die Maske auf, dafür hat man mehr Verständnis als früher – und mich erkennt keiner.“
Unverändert blieb indes der Anspruch an sich selbst, besser zu werden. Nach Fehlern zu suchen, auch wenn Doppelgold „ergebnistechnisch das Maximum“ gewesen sind, wie er sagt. Wäre da nicht die Gewissheit, „dass ich natürlich besser fahren hätte können“. Das große Ziel: Kriechmayr will konstant schnell sein. Überall. „Weil ich mich nicht aufs Glück verlassen will“, wie er sagt.
Dieses Jahr steht mit Olympia in Peking das nächste Großereignis an. Klappt alles – und das sei der Sinn der Perfektionssuche – „will ich mich nicht aufs Glück verlassen müssen“, wie er erläutert. Und das mit dem Perfektionismus endet auch an seinen Einflussgrenzen, wie der nach Vincent van Gogh benannte Ski-Künstler erklärt. Denn dass man mit China als Austragungsort keine Freude haben muss, sei ihm bewusst. „Aber ich kann ja nichts dafür, wenn das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Spiele an solche Orte vergibt. Ich als Sportler würde auch nach Nordkorea fliegen, das wichtigste Großereignis im Sport hat man in seiner Karriere nicht zu oft.“
Aufgrund der Pandemie war der gesamte Tross allerdings noch nie auf der Olympia-Abfahrt. Das stört den Perfektionisten übrigens kaum: „Ich mag es an sich gern, wenn ich auf neue Strecken komme“, meinte er, beeilte sich aber zu betonen: „Damit will ich nichts verschreien.“